Vierundzwanzigstes Kapitel

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Zwei Wochen später sind wir eleganten Hebefiguren zwar auch nicht wirklich näher gekommen, immerhin haben Eamon und ich aber ganz langsam ein Gefühl füreinander entwickelt. Er kann nun einschätzen, wie viel Kraft er aufwenden muss, um mein ganzes Gewicht über seinen Kopf zu stemmen. Und ich kann mich bewusster auf die kleinen Muskeln konzentrieren, die ich währenddessen anspannen muss.

Neben den insgesamt vier Tanztrainings pro Woche habe ich in den letzten zwei Wochen drei Nachtschichten durchgerackert, um eine längere Arbeit rechtzeitig abzuschliessen und mit Alan zwischendurch einen wunderschönen Spaziergang am steinigen Strand Brightons unternommen. Auf dem Pier, den die eiskalten Wellen immer wieder anstubsten, haben wir uns dann trotz des kühlen Windes zwei Eisbecher gegönnt und gelacht, als uns die Zungen fast eingefroren sind.

Und nun halte ich seine Hand. Selbst durch den Handschuh ist sie warm und vertraut und gibt mir ein wohliges Gefühl. Zum ersten Mal laufen wir händchenhaltend durch die Strassen. Auf meinem Gesicht prangert ein riesiges Grinsen, das ich nicht wegbekomme. Und noch viel doller strahlt mein heftig pochendes Herz.

Der Wind weht mir meine offenen Haare ins Gesicht und tastet mit kalten Fingern nach meiner Nase, doch es ist mir egal. Ich halte seine Hand. Das ist das Einzige, was zählt.

Obwohl es erst sechzehn Uhr ist, geht die Sonne gerade unter und hinterlässt lila Streifen am Himmel. Die lila Lichter geben dem Moment eine geheimnisvolle, märchenhafte Atmosphäre. Wenn nun ein akustisches Lied im Hintergrund spielen würde, wäre ich definitiv in einem Liebesfilm gelandet.

„Wir sind da", beendet Alans schöne, raue tiefe Stimme die vertraute Stille. Er löst seine Hand von mir und zieht einen Schlüssel aus seiner Jackentasche. Ich gucke mir den Wohnblock an. Von aussen sieht die weisse Fassade aus, wie jede andere. Aber im Vergleich zu den benachbarten Gebäuden ist die Farbe an einigen Stellen abgeblättert und müsste wohl mal erneuert werden.

„Komm rein", winkt mich Alan zu sich und ich schlüpfe neben ihm in die Wärme des Flurs. „Ich wohne im dritten Stock."

Sein Schlüsselbund raschelt, als er vor mir die Treppe hochsteigt. Seine langen Beine nehmen zwei Stufen auf einmal, sodass ich ihm fast hinterherrennen muss. Als er das merkt, verlangsamt er schmunzelnd sein Tempo.

„Du hast mal gesagt, dass bei dir immer irgendwelche Freunde herumlungern", vergewissere ich mich vorsichtshalber. „Ist heute auch wer da?"

„Keine Sorge", antwortet er und dreht sich kurz zu mir um, „ich habe sie alle weggeschickt. Sie sollen dich mit ihrem idiotischen Gerede nicht gleich wieder vertreiben."

Ich lache erleichtert. In kürzester Zeit sind wir oben angekommen und Alan macht die Tür zu seiner Wohnung auf – ohne sie aufzuschliessen.

„Schliesst du deine Tür nicht ab?", will ich wissen, woraufhin er den Kopf schüttelt.

„Nein, sonst kommen die Anderen nicht rein."

„Hast du nicht Angst, ausgeraubt zu werden?"

„Nicht wirklich. Hier drin befindet sich nichts, das teurer als ein paar Pfund ist."

Erstaunt und gleichzeitig unglaublich neugierig trete ich nach ihm in das Apartment und ziehe meine Boots aus. Der schmale Flur ist ziemlich dunkel und hat anscheinend kein Licht. An einer Garderobe hängen unzählige Jacken und Schals, am Boden liegen mehrere paar Schuhe. An der Wand ganz am Ende hängt ein grosses Bild, das ich im Halbdunkeln nicht genauer erkenne.

„Rechts ist die Küche", erklärt Alan und gibt mir eine kleine Wohnungstour. Die Küche ist gross genug für einen kleinen Tisch und zwei Stühle, die Wände wurden pastellblau gestrichen. Recht unordentlich, aber gemütlich. „Und links kommst du ins Wohn- und Schlafzimmer. Und da hinten ist das Bad."

Lila LichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt