Das Puzzleteil, das das Chaos ergänzte

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Emma

"Seit zwei Monaten schon ist Luisa Maeson, die Tochter der Millionen schweren Geschäftsfrau Katharina Maeson, verschwunden. Wir bitten jeden einzelnen da draußen um Hilfe. Wer sie gesehen hat, meldet sich bitte umgehend bei der örtlichen Polizei und...".

Genervt schaltete ich das Radio ab und sah gedankenverloren aus der Fensterfront des Cafés. Viele Menschen schlichen sich durch den Trubel, immer mehr Touristen besuchten diesen Ort. Die Kunden betraten das Lokal und erzählten einander viel von sich selbst. Hier und da hörte man die Leute über die verschwundene Frau sprechen, die mit der lesbischen Barista dieses Café's liiert war. Ich versuchte schon gar nicht mehr zu zu hören, denn Sätze wie "Ich bedaure deinen Verlust" oder "Es tut mir so leid für dich" trieben mich in den Wahnsinn. Jedes mal sagte ich das gleiche. "Luisa ist nicht tot" oder "ich brauche keinen Mitleid" waren die Worte, die dann meinen Mund verließen. Ich wusste, dass Luisa nicht tot war, auch wenn die Mehrheit schon davon ausging; aber muss denn jede vermisste Person gleich für tot erklärt werden? Ich zumindest gab die Hoffnung, dass meine Freundin lebte, nicht auf.

"Entschuldigen Sie", sprach eine zierliche Frau an der Theke und erhaschte somit meine Aufmerksamkeit. "ich würde gerne etwas bestellen." "Oh, natürlich, Entschuldigung. Was kann ich für Sie tun?" Die Frau gab ihre Bestellung auf und sagte dann auch die Worte, von denen ich schon genug gehört hatte. Aber anstatt diesmal wieder zu antworten, beließ ich es bei ihrem Beileid und zog mich entschuldigend zurück.

Nachdem diese Kundin ihre Bestellung erhalten hatte, entledigte ich mich meiner Schürze und schmiss sie im Personalraum in den Wäschekorb. "Was machst du?", fragte Nadine, die gerade dazugestoßen war. "Ich gehe nach Hause. Ich halt's nicht mehr aus hier." Sie sah mich für einen Moment lang besorgt an, aber nickte dann. "Okay, Emma. Nimm dir Zeit. Meld' dich aber wenn irgendwas ist." "Danke Nadine."

Mit diesen Worten floh ich aus dem Personalraum und letztendlich auch aus dem Café.

Die Polizei hatte Luisa's Wagen zurück bringen lassen, was mir die Möglichkeit gab fort zu fahren. Ich setzte mich in den Wagen, schloss die Autotür und meine Augen. Ich atmete tief durch und ließ mich von ihrem Duft umhüllen, der noch immer den Innenraum besetzte. Vorsichtig umfasste ich das Lenkrad und spürte beinahe ihre Präsenz. Den Motor stellte ich an und daraufhin fuhr ich auch schon los. Der Wagen fuhr mich ein paar Kilometer weiter, in die Innenstadt, wo mich der Trubel und die vielen Autos als einen Teil von ihnen einnahmen. Das Puzzleteil, das das Chaos ergänzte.

Irgendwann kam ich dann auf einen großen Parkplatz und verließ wenig später auch schon das Auto.

Ein großes, blau leuchtendes Neonschild erhaschte meine Aufmerksamkeit. Es gehörte zu einer Kneipe, aus der Stimmen kamen und Musik ertönte. Ich ließ mich von der Atmosphäre beinahe anziehen, weshalb ich irgendwann in die Kneipe stolperte. Der Geruch von Nikotin zog in meine Nase, hier und da klirrten Gläser aneinander. An der Bar standen braune Barhocker, wovon die Hälfte schon besetzt waren. Im Raum verteilt standen Gruppentische und Stühle, im hinteren Bereich sogar zwei Billardtische.

Gedankenverloren ließ ich mich auf einem der Barhocker nieder. Sofort kam der Barkeeper auf mich zu und erkundigte sich nach meiner Bestellung. Meine Wahl fiel auf eine Cola, die ich wenig später mit Eiswürfeln und einem Strohhalm serviert bekam. Ich trank einen kleinen Schluck und ließ dann den Blick durch den Raum schweifen. Die Gesellschaft bestand aus den verschiedensten Menschen; ich schätzte die Altersgruppe zwischen 25 und 40. Die Gespräche übertönten fast die Musik, weshalb ich mich nicht mehr an die Songs erinnern konnte.

"Was ziehst du denn so ein langes Gesicht?", fragte der dunkelblonde Mann, der so etwa in meinem Alter war und sich lächelnd auf den Hocker neben mir setzte. "Lange Geschichte", antwortete ich ihm. "Mit einer Cola kommst du aber auch nicht auf andere Gedanken", bemerkte er. Ich sah auf mein Glas und lachte dann kurz auf. "Vermutlich nicht. Ich bin mit dem Auto hier und möchte ungern betrunken fahren." "Wer kommt denn mit dem Auto zur Bar?" "Ich komme nicht von hier, brauchte aber von Zuhause mal ein wenig Abstand, schätze ich. Ich wollte gar nicht in eine Bar gehen; das Neonlicht hat mich angezogen", erklärte ich mich. "Das haben Neonlichter so an sich", meinte er und zuckte mit den Schultern, bevor er von seinem Bier trank. "Also, Fremde die mit dem Auto zu einer Bar fährt, ich bin Noah." Er hielt mir seine Hand hingegen und lächelte. Ich nahm seine Hand zur Begrüßung und sagte ihm meinen Namen. "Ich bin Emma."

Nordsee WindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt