"Ich möchte noch mal schnell wohin, möchtet ihr mitkommen oder habt ihr etwas anderes vor?", fragte Marlene zwei Tage später beim Frühstück. Emma hatte mir vorher im Bett schon erzählt, dass sie mir gerne die Umgebung zeigen wollte, nachdem ich sie gestern mehr oder weniger darum bat. "Eigentlich haben wir schon etwas vor. Musst du wieder noch deine letzten Einkäufe erledigen?" "Kann man so sagen. Ein paar Teile fehlen mir noch. Wenn ihr nicht möchtet, dann fahren dein Vater und ich zusammen und ihr könnt machen was immer ihr wollt."
Später machten sich Emmas Eltern dann auf und wir schnappten uns Arlo, bevor wir ebenfalls das Haus verließen. Der Weg führte uns durch einen kleinen Park, an einem Teich und kleinen Geschäften vorbei. Wir näherten uns dem Trubel in der Stadt, fanden sogar irgendwie einen Weihnachtsmarkt. "Wollen wir uns einen Kakao holen? Oder irgendwas anderes?", fragte ich. "Können wir gerne machen." Am Ende gingen wir mit einem Kakao und ein paar gebrannten Mandeln vom Markt und weiter durch die Stadt. Die Atmosphäre hier war ganz anders als am Meer. Die Leute hier waren unfreundlich und gestresst, fast schon rücksichtslos. Ich hielt die ganze Zeit über Emmas Hand und folgte ihr wo auch immer sie uns hin führte. "Hey, ist das nicht Judith?", fragte ich sie und zeigte auf die Frau an der Bushaltestelle. "Ja, das ist sie. Wollen wir mal hallo sagen?" Ich zuckte mit den Schultern und daraufhin stoßen wir auch schon zu ihr.
Judith sah uns fragend an und begrüßte uns dann ebenfalls. "Was treibt euch denn her?", fragte sie eher Emma. Die Schwarzhaarige musterte meine Partnerin und schien mich auszublenden. Ich konnte Judith gerade nicht einordnen; konnte ich ehrlich gesagt noch nie. "Wir bleiben über Weihnachten bei meinen Eltern." "Das ist sicher schön für die zwei." "Ja ich glaube schon." Jetzt erst sah sie mich an und setzte sich ein Lächeln ins Gesicht. "Ich hab's letztens Gehört. Glückwunsch zur erfolgreichen Verhandlung. Ich hoffe, es wird alles besser; auch mit dem Baby." "Danke", lachte ich nervös und würde am liebsten sofort weiter gehen. "Habt ihr schon einen Namen?" "Ne, noch nicht." "Euch wird sicher einer einfallen." Der Bus kam, endlich. "Ich muss jetzt los. Wir können ja mal schreiben oder telefonieren. Vielleicht sehen wir uns ja noch", meinte sie zu Emma. "Okay, ja ich schaue mal." "Ich würde mich freuen." Judith drehte sich um und ging zum Bus und wir daraufhin auch weiter. "Die war ja komisch", bemerkte ich. "Ja, oder? Ist mir auch aufgefallen." "Willst du sie in den nächsten Tagen besuchen?" "Nein, ich glaube nicht." "Okay."
Wir schlenderten wortlos weiter; ich ließ die Gegend auf mich wirken und stellte mir vor, wie Emma damals mit ihren Freunden hier durch die Straßen zog und die Erinnerungen sammelte, von denen sie mir ab und zu erzählte. Ich stellte mir vor wie sie war. Vielleicht war sie ja eine kleine Partymaus, die Risiken einging und keine Angst vor irgendwas hatte. Vielleicht war sie aber auch eher so eine, die sich an Regeln hielt, aber trotzdem immer auf Spannung und für Partys zu haben war. "Woran denkst du?", fragte sie mich, als wir wieder zurück zum Park gingen. "Ich habe nur überlegt, wie du wohl in deinen jungen Jahren warst." "In meinen jungen Jahren? Ich bin 26, das ist nicht alt. Meine besten Jahre kommen erst noch." Ich musste lachen und gab ihr recht. "Ich war ab und zu mit Freunden in der Stadt feiern und habe mich einmal richtig abgeschossen, sodass wir Nachts total betrunken hier auf dem Spielplatz waren. Ich war auf diesem Dreh Ding da vorne,", sie zeigte auf das Sitzkarussel auf dem Spielplatz und lachte. "und habe mich und meine Freunde so schnell gedreht, das ich anschließend kaum mehr laufen konnte und dann einfach hingefallen und auf dem Boden gekrochen bin." "Uh, das klingt wild." "Total. Alkohol und ich hatten schon immer so eine Hass Liebe." "Dafür hast du am Morgen danach kaum mehr einen Kater." "Und jetzt kennst du auch den Grund." Wir mussten beide lachen und gingen weiter. Auf einer Bank setzten wir uns und aßen die Mandeln. Unsere Getränke waren mittlerweile leer.
Es war windig, aber nicht kalt; es regnete sogar ein bisschen. Wir hatten keinen Schirm mit, deshalb blieben wir nicht lange und gingen rasch weiter.
Wieder zurück in ihrem Elternhaus kickte Emma ihre Schuhe zu den anderen, was ich ihr gleich tat, und nahm mich an der Hand mit ins Wohnzimmer. Ich war noch nicht in Weihnachtsstimmung, musterte aber die ganzen Dekorationen, die hier verteilt waren. An der Terrassentür stand ein kleiner Tannenbaum, geschmückt mit roten Kugeln. Die Tannenspitze krönte ein offensichtlich selbstgebastelter Engel. "Hast du den gebastelt?", fragte ich Emma neben mir und zeigte auf die Baumspitze. "Ja, aber das ist schon Jahre her. Müsste im Kunstunterricht der 8. Klasse gewesen sein und seit dem hängt meine Mutter den jedes Jahr an den Baum." "Sehr süß." "Schon." Wer weiß, ob wir in ein paar Jahren auch einen selbstgebastelten Weihnachtsengel an unseren Baum hängen und ihn uns stolz, zu dritt, ansehen würden, dachte ich.
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Nordsee Wind
Dla nastolatkówcover by @bleibendestille Emma hatte gerade ihre Lehre abgeschlossen und sich dafür entschieden, ihre Heimat zu verlassen. Sie war nun erwachsen genug, um auf eigenen Beinen zu stehen. Also zog sie von der Großstadt in einen kleinen Ort an der Nords...