„Du willst mich auf den Arm nehmen." Die Entgeisterung in Noemis Stimme war nicht zu überhören. Wahrscheinlich war ihr die Kinnlade runtergeklappt. Am Telefon konnte ich aber leider nur mutmaßen.
Ich musste meine Zähne in meine Unterlippe graben, um mich vom Grinsen abzuhalten, denn dafür würde meine Freundin mich verachten. „Nein."
„Doch!"
„Nein." Nun entwich mir sogar ein ungewolltes Lachen. „Ich weiß, dass du das mit Sicherheit nicht gutheißt, aber versuchen es zu leugnen, macht es auch nicht ungeschehen."
Noemi stöhnte einfach nur. „Okay, dann versuch mir eine schlüssige Erklärung dafür zu liefern, warum du den Lackaffen jetzt auch noch geküsst hast. Mit meinem letzten Stand der Dinge verstehe ich es nämlich nicht."
Ich legte den Kopf in den Nacken und kaute auf meiner Unterlippe herum. Es war früher Abend und die Sonne schickte ihre letzten Strahlen gen Erde und teilweise an meine Zimmerdecke, bevor sie bald hinter dem Horizont verschwinden würde. „Ich weiß ja selber, dass es total... überraschend kommt."
„Willst du mir jetzt erzählen, dass ihr ineinander gestolpert seid und eure Münder sich dabei ganz zufällig berührt haben, oder was?", merkte Noemi trocken an. „Alles andere kann nämlich nicht überraschend sein. Und so, wie ich dich kenne, küsst du eigentlich keine Kerle, die scheiße zu dir waren."
Mit einem Seufzen ließ ich mich rücklings auf meine Bettdecke fallen. „Er war in den letzten Tagen doch irgendwie ziemlich nett."
„Nur nett?" Ich konnte Noemis Schreibtischstuhl knarzen hören, als sie – wahrscheinlich ziemlich schwungvoll – davon aufstand. „Du weißt doch, dass nett die kleine Schwester von scheiße ist! Und es hat nur ein paar Tage gebraucht, damit du ihm zu Füßen liegst? Verdammt, was hat er getan?" Sie klang, als hätte ich ihr von dem besten Orgasmus meines Lebens erzählt und wäre nun Feuer und Flamme, die Geheimnisse dahin zu erfahren.
„Dann war er eben freundlich", änderte ich kichernd meine Wortwahl. „Ein Gentleman. Zuvorkommend. Hilfsbereit. Aufmerksam. Und ziemlich unwiderstehlich irgendwie."
„Sexy also, hm?"
„Oh mein Gott, Noemi", stöhne ich lachend.
„Was denn? Ich versuche es doch nur zu verstehen!"
„Ich doch auch." Und damit sie mehr Kontext als nur ein paar Adjektive bekam, erzählte ich ihr alles, was in den letzten Tagen mit Charlie und dann und irgendwie auch deshalb mit Alex passiert war.
Für eine Weile herrschte Stille in der Leitung. Womöglich musste Noemi darüber nachdenken, wie sie es finden sollte, dass ich den arroganten Lackaffen geküsst hatte, und ich gab ihr die Zeit, das zu tun.
„Brooke?", fragte sie irgendwann ziemlich ernst.
Mit reiner Bauchmuskelkraft brachte ich mich auf meiner Matratze wieder in eine aufrechte Position, ein schmerzvolles Stöhnen unterdrückend. „Ja?"
„Bist du dir sicher, dass es das ist, was du willst?"
Ich atmete tief durch und schloss meine Augen. „Um ehrlich zu sein habe ich absolut keine Ahnung", gestand ich. „Es ist gerade mal zwölf Stunden her und ich habe ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen." Mein Magen zog sich bei dieser Tatsache schmerzhaft zusammen. Ich hatte mich nach dem Essen zu seinem Zimmer geschlichen, aber er war nicht dort und auf die Nachricht, die ich ihm daraufhin geschickt hatte, ob alles okay sei und wo er war, hatte er mir bis jetzt nicht geantwortet. Alleine dieser Umstand ließ mich daran zweifeln, dass was auch immer das zwischen uns war, funktionieren könnte.
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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...