S e c h s u n d z w a n z i g

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„Ach, Brooke", warf Noemi mir seufzend vor, als ich sie anrief, nachdem ich Lillian ins Bett gebracht hatte, weil ich es nicht mehr ausgehalten hatte, mit meinem Gedankenchaos alleine zu sein. „Vor... wie vielen Tagen? Drei? Vor drei Tagen wolltest du dich noch von ihm fernhalten und jetzt das alles?"

Ich vergrub mein Gesicht in meinem Kopfkissen, weil Noemis Tadel nur gerechtfertigt waren. „Ja, ich weiß", nuschelte ich in den Bezug. Ich wusste ja selber, dass das, was ich hier tat, nicht so optimal war. Gewesen war, jedenfalls. Jetzt würde ich nämlich wirklich einen Schlussstrich unter Alexander und mich ziehen.

„Was hast du gesagt?", fragte Noemi, weil sie wahrscheinlich nur ein dumpfes Gemurmel vernommen hatte.

Seufzend setzte ich mich auf und stützte meine Stirn in meiner Handfläche ab. „Ja, ich weiß und du hast Recht."

„Und wie ich das habe! Der Kerl ist nicht gut für dich und ich würde gerne sagen, wie stolz ich auf dich bin, dass du ihn endlich in die Schranken gewiesen hast, aber dann back doch nicht direkt Pizza mit ihm!"

„Aber es war für Lilly. Er macht immer total wenig mit ihr und sie wollte unbedingt, dass er mitmacht."

„Mir egal, dann soll der sich eben außerhalb des Urlaubs mit seiner Schwester beschäftigen. Da hat er doch massig Zeit und das bestätigt mir nur noch mehr, dass er ein blöder Mensch ist, wenn er sie vernachlässigt! Aber du? Warum kannst du so überhaupt trotzdem noch mit ihm herumalbern und ihn anschmachten? Ja gut, anschmachten ist aus der Ferne noch okay, aber mehr nicht! Immerhin sehen alle Arschlöcher irgendwie gut aus, deshalb können sie ja so gut Arschlöcher sein. Lass dich doch davon nicht blenden!"

„Nicht jeder gutaussehende Mann ist ein Arschloch", wand ich ein.

„Ja, meinetwegen, aber deiner ist eins. Sag mir bitte einfach, dass du dich nicht in ihn verknallt hast oder so."

Ich biss auf meiner Unterlippe herum und starrte aus dem Fenster, wo der Himmel und das Meer zu einer unscharfen blauen Masse verschwammen. „Hab ich nicht."

Und trotzdem schlug mein Herz schneller, als wollte es anmerken, dass das gelogen war. Dabei hatte ich mich nicht in Alexander verguckt. Höchstens in sein Aussehen. Und in die Momente, in denen er doch ganz nett sein konnte und in denen er Schmetterlinge in meinem Bauch flattern ließ.

Oh, verdammte Scheiße.

Der Schlag traf mich wie eine Ladung eiskaltes Wasser. So unangenehm, dass ich mich krümmte, um noch etwas des Unangenehmen abzuwenden, obwohl es dafür längst zu spät war.

„Ich weiß nicht, ob ich dir das glauben kann", merkte Noemi skeptisch an, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

„Gott, ich weiß doch auch nicht, okay?" Ich zerrte ein Kissen auf meinen Schoß und presste es gegen meine Brust. Warum brannten auf einmal Tränen hinter meinen Lidern? War das die Anspannung des Tages, die endlich von mir abfiel oder doch die Erkenntnis, dass ich mich vielleicht tatsächlich in Alexander verguckt hatte, obwohl ich selber nur allzu gut wusste, dass das das Letzte war, was ich tun sollte?

Überfordert legte ich den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die Tränen an. Seit drei Jahren hatte ich mich für niemanden mehr interessiert und jetzt ausgerechnet das. Der launische Sohn meiner schwerreichen Arbeitgeber, der mich schon wieder zum Heulen brachte, ohne überhaupt anwesend zu sein.

„Oh, Schatz", seufzte Noemi nun deutlich sanfter als zuvor. „Du klingst als wäre es schon zu spät für dein Herz."

„Nein, Quatsch", versuchte ich sie genauso zu beruhigen wie mich selber. „Meinem Herzen geht es gut. So schnell lässt sich das dann auch wieder nicht um den Finger wickeln. Es ist eher... keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass das mein erster intensiverer Kontakt zu einem männlichen Wesen seit Jahren ist und es einfach zu verlockend wäre, etwas mit ihm anzufangen."

„Klar, wer würde nicht gerne einen Lackaffen vögeln", entgegnete Noemi. „Reich heiraten ist doch insgeheim der Traum von uns allen. Aber du hast definitiv etwas Besseres verdient. Jemand mit einem bisschen kleineren Portemonnaie wäre dafür wahrscheinlich viel netter zu dir."

„Gott, Noemi, ich will ihn nicht vögeln!" Alleine bei der Vorstellung daran lief ich rot an. „Und an seinem Geldbeutel liegt es definitiv nicht, wie du schon richtig festgestellt hast." Wenn ich so darüber nachdachte, war das sogar das unattraktivste an Alexander.

„Es beruhigt mich, dass du das selber siehst", meinte Noemi.

„Natürlich sehe ich das selber! Ansonsten hätte ich ihn nicht in die Wüste geschickt. Soweit man das in die Wüste schicken nennen kann. Es lief ja nie irgendwas zwischen uns."

„Solange du bei der Entscheidung auch standhaft bleibst, ist auch alles gut."

„Irgendwie erinnert mich das hier gerade total an die Reaktion meines Dads, als ich mit meinem Ex zusammengekommen bin", murrte ich. „Da hat er auch nichts gutgeheißen, was Chase getan hat."

„Dein Ex hat sich aber auch als ein Arschloch entpuppt", argumentierte sie. Irgendwann hatte ich ihr mal die ganze eklige Geschichte mit Chase erzählt und sie hatte ihn genauso gehasst wie nun Alexander. „Väter mögen es eben nicht, wenn ihre Töchter nicht das Beste bekommen, und als Mann hatte er bestimmt auch ein gutes Gespür dafür, wenn ein Kerl das nicht bieten konnte oder nur Unsinn im Kopf hatte."

„Aber eigentlich war unsere Beziehung immer okay. Bis zu dem... Unfall jedenfalls." Für mich zu der Zeit war sie das immerhin gewesen, aber vielleicht war okay eben nicht perfekt und ich zu jung, um zu verstehen, was Liebe wirklich bedeutete. Dass es mehr war, als gemeinsam gesehen zu werden und sich vor allen als das perfekte Paar zu geben, um dann in der Freizeit viel zu wenig Zeit füreinander zu haben. Eigentlich hatten wir unsere beste Zeit immer auf dem Sportplatz gehabt, wenn er Footballtrainig und ich Cheerleading gehabt hatte. Wir hatten immer mehr rumgemacht als geredet. Eigentlich hatten wir einander nie wirklich gekannt. Und als ich ihn für alles andere als das Körperliche gebraucht hatte, war sein Interesse an mir schneller gefallen als ein Platzregen vom Himmel.

„Ja, eben, sage ich doch. Ein Arschloch durch und durch. Ich glaube ja immer noch fest daran, dass deine Eltern ihn dafür heimsuchen und ihm das Leben ein bisschen schwerer als nötig machen."

Ein trauriges Lachen kam über meine Lippen. Noemi hatte immer ein Händchen dafür, das Schlimme nicht ganz so schlimm erscheinen zu lassen.

„Und ich bin mir sicher, dass sie dasselbe auch mit Alexander machen werden, falls ich dich nicht davor bewahren kann, ihm doch noch zu verfallen."

„Das werde ich nicht."

„Das hoffe ich, Brooke. Ich möchte nicht, dass du dein ohnehin schon splittriges Herz nicht noch mehr flicken musst, weil der nächste es dir bricht. Du brauchst jemanden, der dir das Garn anreicht und nicht die Nadel ins Herz sticht."

„Das hast du schön gesagt."

„Ja, nicht wahr? An mir ist eine wahre Poetin verloren gegangen."

Ich lachte. „Vielleicht kannst du ja später als Richterin deine Urteile ein bisschen dramatischer sprechen. Oder du schlägst eine zusätzliche Karriere als Schriftstellerin ein."

„Falls mein Examen nur Chancen als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei hergibt, wäre das eine Alternative, über die man nachdenken könnte."

„Ach was, so wie du dir den Arsch aufreißt, reicht es für mehr als das!"

Noemi seufzte. „Du erinnerst mich daran, dass ich heute noch zwanzig Seiten zusammenfassen muss."

„Oh, sorry, davon wollte ich dich nicht abhalten", rief ich aus. „Dann lass uns auflegen, sonst kommst du ja überhaupt nicht mehr ins Bett."

„Ich lausche aber lieber deinem Leben, das ist um einiges spannender. Außerdem habe ich noch gar nicht alles erfahren, was ich wollte! Ich kann schließlich nicht einfach ignorieren, dass das Arschloch ein Zwilling ist! Ist die Schwester auch so ein Biest?"

Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich rückte meine Beine in eine bequeme Position, ehe ich Noemi von Kimberley erzählte, die das komplette Gegenteil von Alexander zu sein schien. Auf den ersten Blick jedenfalls, denn ich fand das genauso seltsam wie Noemi. Während sie hinter Kimberleys freundlicher und hilfsbereiter Fassade Boshaftigkeit vermutete, fragte ich mich, ob sich hinter Alexanders nicht genau ihre Züge zu verstecken schienen. Immerhin war davon schon das ein oder andere Mal etwas durchgeblitzt.

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