„Und weißt du was?", fragte Lillian, das letzte Wort in die Länge ziehend und mich mit Unschuldsmiene anblickend. Sie hatte ihre verspielte Blümchenbettdecke bis unters Kinn gezogen und plapperte mich schon seit über zwanzig Minuten mit etlichen willkürlichen Erzählungen voll. Im Badezimmer, als sie sich die Zähne putzen sollte, hatte ich noch gedacht, dass sie einfach verdammt gerne redete, doch mittlerweile hatte ich durchschaut, dass sie sich nur vor dem Schlafengehen drücken wollte.
Mit einem Grinsen stützte ich mein Kinn in meiner Handfläche ab. „Was denn?"
„Immer, wenn es regnet, machen die Engel Pipi."
„Ach, wirklich?", entgegnete ich mit übertriebener Verwunderung, dabei hatte ich als Kind immer genau dasselbe gedacht.
„Ja!" Lillian nickte energisch. „Und wenn es gewittert, ist Gott ganz böse!"
„Oje!" Meine Augen weiteten sich und ich beschloss schnell, das Thema zu wechseln, falls Lillian Angst vor Gewittern hatte und sich so sehr in die Sache reinritt, dass ich sie heute tatsächlich nicht mehr zum Schlafen bringen konnte. „Und was ist, wenn es schneit?"
Lillian blickte nachdenklich an die Decke ihres Kinderzimmers, die mit im Dunkeln leuchtenden Sternen beklebt war. Wahrscheinlich war das das individuellste, was man auf der Segelyacht vorfinden konnte. „Weiß ich nicht", gab sie schließlich zu.
„Vielleicht verstreuen die Engel dann ja ganz viel Sternenstaub."
„Oh ja, so war das!"
Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Lillian war wirklich verdammt hinterlistig. Bestimmt hatte sie sich das von ihrem Bruder abgeschaut. Hoffentlich würde sie sich in seinem Alter aber weiterhin auf solche harmlosen Sachen beschränken und nicht auch auf die Idee kommen, Leute mit schlimmeren Mitteln zu verletzen.
„Brooke?" Lillian zog die Buchstaben schon wieder in die Länge und ich wusste genau, was jetzt kam, tat aber weiterhin so, als wäre ich noch nicht hinter ihren Plan gekommen. Sie war einfach zu niedlich, um ihr radikal zu sagen, dass jetzt Schluss mit Lustig und es Schlafenszeit war. Das brachte ich einfach nicht übers Herz, obwohl Mrs Parker mir eindringlich aufgetragen hatte, um Punkt acht Uhr das Licht auszumachen. Mittlerweile war es aber bestimmt schon halb neun.
„Mhm?", machte ich, genauso langgezogen. Einerseits reizte es mich, gegen Mrs Parkers Regel zu verstoßen, andererseits hatte ich auch eine Heidenangst, dass sie und Ronan Parker jeden Moment von ihrem Restaurantbesuch wiederkommen und sie mir die Hölle heißmachen würde.
„Kannst du mir was vorlesen?"
„Danach wird aber geschlafen", kündigte ich an und versuchte mich an einem ernsten Blick, den Lillian tatsächlich mit einem Nicken quittierte, ehe sie unter ihrer Decke hervorkroch. Ich stand auf, um ihr Platz zu machen und beobachtete dann, wie sie das dickste Buch aus ihrem kleinen Bücherregal zog, das es zu bieten hatte.
Wirklich verdammt clever, dieses Mädchen.
Mit einem rügenden Blick nahm ich es ihr ab. „Dann kuschle dich mal wieder ein", sagte ich und war froh, als sie tatsächlich wieder unter ihr Blumenmeer kroch, denn es war eine verdammte Herausforderung gewesen, sie in erster Linie überhaupt dorthin zu bekommen. Ich half ihr beim Zudecken und ließ mich schließlich zurück auf ihre Bettkante sinken, wo ich die erste Seite des Buchs aufschlug und begann, zu lesen.
Es handelte sich um eine Art Märchenbuch, wie ich nach einigen Seiten feststellte. Nicht die der Gebrüder Grimm, aber andere fantastische Geschichten, die alle eine Moral aufwiesen. Ich las Lillian drei Stück vor, bis ihr die Augen zufielen und begann noch die vierte, um sicherzugehen, dass sie wirklich eingeschlafen war. Erst dann klappte ich das Buch bedächtig zu, stand vorsichtig von ihrem Bett auf und schob es zurück ins Regal. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür, knipste das Licht aus und schloss die Tür so leise wie ich konnte, bevor ich erleichtert aufatmete.
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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...