Ich hatte mich für ein weißes Sommerkleid entschieden, das mich irgendwo zwischen elegant und leger aussehen ließ, drei Anläufe für meinen Lidstrich gebraucht und roten Lippenstift aufgetragen, um meinem Outfit ein wenig Farbe zu verleihen. Letzteres erwies sich als ziemlich dumme Idee. Weil der Lippenstift billig war, verschmierte er nicht nur leicht, sondern hatte auch einen unübersehbaren Abdruck auf meinem Wasserglas hinterlassen. Ich war mir sicher, dass spätestens jetzt nur noch unregelmäßige Farbflecke auf meinen Lippen waren.
Als ich unauffällig mit meinem Daumen über den Abdruck fuhr, um ihn verschwinden zu lassen, verschmierte die Farbe lediglich zu einem noch hässlicheren Fleck. Innerlich fluchend wischte ich meine rote Fingerkuppe an der Serviette ab.
Das italienische Restaurant war gehobener, als ich es für Plymouth erwartet hätte, aber nicht so nobel, wie ich es Familie Parker zugetraut hätte. Es war in einem rustikal modernen Stil gehalten. Vereinzelte Wände bestanden aus Stein, die den Gästen den Anschein vermittelten, sich in einem italienischen Landhaus mitten in der Toskana zu befinden. Den Boden zierten kleine, uneben verlegte Terrakottafliesen und von der Decke hingen zwischen unzählige Pflanzen in Blumenampeln gusseiserne Pendelleuchten über den Holztischen.
Wäre ich nicht mit Familie Parker hier, würde ich die gemütliche Atmosphäre voll und ganz genießen und hätte ein köstliches Pastagericht anstelle eines langweiligen Salates bestellt. So unerwünscht wie ich jedoch war, wollte ich auf keinen Fall den Anschein erwecken, mir auf Kosten der Parkers den Bauch vollzuschlagen. Ich wollte einfach so wenig auffallen wie möglich und das war überraschend leicht.
Lillian war voll und ganz mit dem Ausmalbild beschäftigt, das sie von der Kellnerin bekommen hatte. Mrs Parker ignorierte nicht nur mich, sondern auch Alexander, seitdem er mich pünktlich zum Aufbruch mit scheinheiliger Miene persönlich aus meinem eigenen Zimmer eskortiert hatte. Ronan Parker schien von der Aktion seines Sohns ebenfalls wenig begeistert zu sein, versuchte es aber zu überspielen. Auf dem Weg vom Hafen zum Restaurant hatte ich mitbekommen, wie er Alexander einige Schritte beiseite genommen hatte, um ihn zu fragen, was er sich davon erhoffte. Alexander hatte genau die gleiche Nummer abgezogen wie vorher bei Mrs Parker. Diese quasi Familie-Begründung, bei der ich mich am liebsten umgedreht hätte, um Mr Parker darüber aufzuklären, dass sein Sohn mich erpresste und ich liebend gerne wieder umkehren würde. Weil ich dafür aber zu feige gewesen war, saß ich nun hier und der Einzige, der mir wirkliche Aufmerksamkeit schenkte, war Alexander. Andauernd versuchte er falsche Konversation mit mir zu betreiben, auf die ich nur so weit einging, dass es Mr und Mrs Parker nicht als unhöflich erschien, wodurch sie nach drei Sätzen wieder erstarb.
Als er sich jetzt sogar zu mir herüberbeugte, wäre ich am liebsten mit meinem Stuhl von ihm weggerutscht. Stattdessen lehnte ich mich nur unauffällig zur Seite, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen.
„Eventuell solltest du die Toiletten aufsuchen, um deinen Lippenstift aufzufrischen", raunte er mir zu, während Mr Parker uns mit unleserlichem Gesichtsausdruck fixierte. Sofort kroch Hitze meine Wangen hinauf.
Ohne Alexander anzusehen, ließ ich die Serviette zurück auf den Tisch sinken. „Bitte entschuldigen Sie mich", sagte ich in die Runde, schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Alexanders Blick folgte jedem meiner Schritte, während er an seinem Rotweinglas nippte, und ich spürte ihn in meinem Rücken, bis ich um die Ecke verschwand, die den Gastraum vom Eingangsbereich abschirmte.
Einmal mehr hatte ich ihm die Bestätigung gegeben, dass ich wie eine Marionette in seinen Händen lag und es ließ mich die Zähne fest aufeinanderbeißen.
Als ich vor dem Spiegel in der Damentoilette stand, sahen meine Lippen tatsächlich aus, als hätte das Wasser die Farbe fast komplett weggespült. Nur noch ein schmaler, äußerer Rand war geblieben und ließ es aussehen, als hätte ich nach dem Lipliner schlichtweg vergessen, den Rest mit Lippenstift auszufüllen.

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Sommergewitter
RomansaWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...