„Um deine Frage von vorhin zu beantworten: Ich weiß ehrlicherweise nicht, ob mein Studium das ist, was ich machen will", begann er zögerlich, den Blick irgendwo in die Ferne gerichtet. „Einerseits könnte mich der ganze Wirtschaftsscheiß nicht weniger interessieren, aber andererseits wüsste ich auch nicht, was ich stattdessen machen soll. Es war irgendwie immer ein unausgesprochenes Gesetz, dass ich später mal bei Dad ins Bankgeschäft einsteige. Er war in Harvard, also war es irgendwie selbstverständlich, dass ich auch dort studiere. Und es ist auch okay, ich habe mich nie komplett fehl am Platz gefühlt, aber ich kann die Erwartungen, die er an mich hat, einfach nicht erfüllen." Sein Adamsapfel trat hervor, als er schluckte und mir einen kurzen Blick zuwarf. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich nur für voll nimmt, wenn ich ihm ein perfektes Klausurergebnis vorzeigen kann. könnte ich nur so genauso erfolgreich eine Bankkette leiten, wie er. Und ich bin nicht einmal ein Versager, aber immer, wenn ich kein A zustande bringe, sondern nur ein B und in ganz seltenen Fällen mal ein C, ist er so heillos enttäuscht. Das sagt er mir allerdings nicht, er verhält sich dann nur immer total kindisch und ist tagelang wortkarg mir gegenüber – privat sowie in der Bank. Ich arbeite ein paar Stunden die Woche bei ihm."
Mit angespanntem Kiefer bearbeitete Alex seine Hände. Ich wünschte die Brotdosen zwischen uns in die Hölle, wollte sie am liebsten gnadenlos unter dem Eisengeländer hindurch vom Leuchtturm schieben und den Abstand zu Alex zu überbrücken, um ihn durchzuschütteln.
Ich hatte diese Eltern, die ihre Kinder einem Leistungsdruck aussetzen, noch nie ausstehen können, insbesondere, wenn die Noten schon gut waren, verstand ich nicht, woher dieser Krampf rührte. Sowas führte bei den Kindern zu nichts Gutem, außer zu ständigen Selbstzweifeln und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Sowas hatte niemand verdient, auch Alex nicht. Die Liebe der Eltern musste über solche schier unwichtigen Dinge im Leben doch hinausgehen. Und Alex musste doch wissen, dass er viel mehr als das war, was sein Vater in ihm sehen wollte.
„Ich glaube manchmal würde ich gerne aus Trotz alles hinwerfen", murmelte er trocken. „Einfach, um zu sehen, was passiert. Ob er dann versteht, was er an mir hat oder ob er mich auch einfach in ein anderes Land verbannt, so wie Kim, weil sie das Bild seiner perfekten Familie und seinen Ruf ruiniert."
„Kim ist nicht freiwillig in England?", entfuhr es mir, und sofort wollte ich die Worte rückgängig machen. Es ging hier um Alex, nicht um Kimberley, aber Alex schien sich gar nicht an meiner Frage zu stören.
„Naja, halbwegs. Sie wollte schon von sich aus dahin, wegen des Reitens, was Dad anfangs gar nicht toll fand. Für sie war eigentlich auch ein Platz in Harvard und später der Bank vorgesehen." Seine Stimme klang so verächtlich, dass ich schluckten musste. „Er hat mit allen Mitteln versucht sie von ihrem Wunsch abzubringen und Kim war irgendwann so genervt, dass sie eine Jetzt erst recht-Einstellung angenommen hat. Sie war förmlich drauf aus, sich mit ihm anzulegen und die Konsequenz aus der Sache war dann, dass er ihr ein Ultimatum gestellt hat: England oder er. Sie entschied sich für England und er meinte, dann braucht sie nicht mehr nach Hause zu kommen."
„Was?", entfuhr es mir. „Wie krank ist das denn?"
Alex zuckte die Achseln. „Willkommen in meiner Familie."
„Aber warum lässt er euch nicht machen, was ihr wollt?"
„Wenn ihm etwas wirtschaftlich sinnlos erscheint, findet er es rein aus Prinzip scheiße. So wie Kims Pferdeliebe oder Familienzeit ohne Angestellte. Er ist ein perfektes Beispiel dafür, dass ihm das Geld über den Kopf gewachsen ist. Er denkt, er kann sich alles rausnehmen, weil sein Kontostand abnormal viele Nullen aufweist. Und er gibt unfassbar gerne damit an."
„Unverkennbar", murmelte ich. Penthouse, Segelyacht, riesiges Anwesen in den Hamptons. Ronan Parker war ein unverkennbarer Snob. Und ich hatte die ganze Zeit gedacht, auch Alex hätte diese Rolle inne. Wie es aussah, hatte er recht damit gehabt, dass ich ein völlig falsches Bild von ihm hatte.
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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...