S e c h z e h n

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Als ich am nächsten Tag an Deck kam, hatte das Wetter wieder umgeschwungen. Die Sonne strahlte vom Himmel, als hätte es die dicke Wolkendecke und die starken Böen gestern nie gegeben. Als wäre all das Gefühlschaos nie geschehen, nicht die Tränen, nicht der Zorn, nicht die Diskussionen, sondern nur die erstaunlich zwanglosen Gespräche, die ich mit Alexander an einer Imbissbude im Hafen geführt hatte, während wir viel zu overdressed Fischbrötchen zum Abendbrot gegessen und darauf gewartet hatten, dass seine Familie zurückkehrte.

Über zwölf Stunden später war ich mir noch immer nicht sicher, ob ich mir diesen Waffenstillstand nur eingebildet hatte, denn das gute Wetter wirkte sich offensichtlich nicht so positiv auf seinen Gemütszustand aus, wie auf meinen. Er war schlecht auf Mr und Mrs Parker zu sprechen, was offenbar auf Gegenseitigkeit beruhte. Besonders als ich mich während des Frühstücks für den Rotweinunfall entschuldigte, obwohl eher sie mir eine Entschuldigung schuldeten, verhärtete sich sein Kiefer noch mehr als ohnehin schon.

„Das war doch alles halb so wild", tat Ronan Parker meine Worte mit einer Handbewegung ab. „Sie hätten deshalb doch nicht das Restaurant verlassen müssen."

Eine irritierte Falte bildete sich zwischen meinen Augenbrauen. Wie meinte er das? Er und seine Frau hatten doch genau das- Mein Kopf flog abrupt zu Alexander, als ich es verstand. Er spielte immer noch mit mir. Er hatte überhaupt nicht damit aufgehört. Und jetzt saß er da, seinen Blick starr auf den Tisch gerichtet und tat so, als hätte dieses absolut nichts mit ihm zu tun.

Ich biss mir auf die Zunge, als ein verächtliches Lachen sich in meiner Kehle formte. Verdammtes, verlogenes Arschloch. Und ein Feigling noch dazu, der es nicht einmal wagte, mir in die Augen zu sehen. Ich war so kurz davor, ihn dieses Mal wirklich nicht mit seiner Scheiße durchkommen zu lassen, aber „Naja, ihr Sohn hat behauptet, Sie wollten mich nicht mehr am Tisch haben" klang so dermaßen bescheuert, dass ich stattdessen nur die Lippen aufeinanderpresste.

„Ich habe mich mit dem Fleck einfach total unwohl gefühlt", behauptete ich schließlich und hoffte, dass ich einigermaßen gefasst klang. „Ich hoffe, das hat keine allzu großen Umstände bereitet."

Mrs Parker rang sich ein Lächeln ab. „Ach, Unsinn." Aber es war offensichtlich, dass ihr meine Abwesenheit nur in die Karten gespielt hatte.

Mit heißen Ohren schob ich mir ein Stück Ananas in den Mund und wünschte, es hätte mehr Widerstand, damit ich meiner Wut über meine Kaumuskeln Luft machen konnte. Ich konnte es wirklich nicht fassen. Alexander hatte mich gestern nicht nur einmal, sondern gleich zweimal innerhalb einer Stunde angelogen und ich war doch komplett darauf reingefallen. Auf seine beschissene, gespielte Reue, die mich wieder genau dahin befördert hatte, wo er mich haben wollte: Mich dumm vor seinen Eltern oder Stiefeltern oder was auch immer sie waren dastehen zu lassen. Es war mir sowas von egal. Die Verwandtschaftsverhältnisse, nicht sein Verhalten.

Diese Chance, die ich ihm hatte geben wollte, konnte er sich in den Allerwertesten schieben. Ich war durch mit ihm. Voll und ganz.

„Was Brooke gesagt hat, stimmt nicht", sagte Alexander auf einmal. Er hob den Kopf, streifte mich mit einem kurzen Blick und sah dann zu seinem Vater.

Ich presste meine Finger fester um meine Gabel. Was auch immer er jetzt sagen würde, würde ausschlaggebend für meinen Rausschmiss sein. Ich wollte ihn daran hindern, ihm Steine in den Weg legen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich fühlte mich so vor den Kopf gestoßen, dass ich auch überhaupt nicht wusste, was ich machen sollte.

Keine Ahnung, ob er sich es genau so erhofft hatte, oder ob es ihm einfach nur perfekt in die Karten spielte, dass ich den gestrigen Abend noch einmal angesprochen hatte. So oder so hatte er gewonnen und das in nur zwei Tagen.

SommergewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt