„Klar zum Segel setzen!"
„Ist klar!"
Ronan Parker killte den Motor, gleich nachdem seine Frau ihm die Bestätigung zurückgerufen hatte. Mit einem Mal war es totenstill, so kam mir die Ruhe ohne das Knattern des Motors jedenfalls vor. Nur das Geräusch der gegen den Rumpf schwappenden Wellen war zu hören, bis Alexander und Mrs Parker sich an dem Wirrwarr dutzender Leinen und Taue zu schaffen machten.
Ich wusste nicht, wer das Spektakel gespannter beobachtete – Lillian oder ich. Es wurden Seile gelöst und woanders wieder festgemacht oder sorgfältig auf dem Boden ausgebreitet. Mrs Parker lief an uns vorbei und machte sich an dieser Querstange, auf der das Segel noch zusammengerafft auflag, zu schaffen. Schon bald waren die Leinen gelöst, die die Querstange davon abhielten, unkontrolliert von rechts nach links zu schwenken. Sie gab Alexander ein Zeichen, woraufhin dieser eine weitere Leine vom Mast löste. Er hakte eine Art Karabiner in eine Öse des Segels. Dann begann er mit voller Manneskraft das Segel zu hissen. Mit seinem gesamten Körpergewicht hängte er sich immer wieder an das Seil, als wollte er all seinem Ärger durch die Anstrengung Luft machen. Pfeilschnell griff er mit seinen Händen nach, umschloss es beinahe krampfartig, während seine Armmuskeln sich unter jedem Zug aufs Neue anspannten. Wäre mir nicht bewusst, dass diese Seile konzipiert waren, um einiges an Widerstand auszuhalten, hätte ich Angst, dass sie jeden Moment unter den harschen Bewegungen auseinanderreißen und das Segel zurück zu Boden rasen könnte.
Obwohl er ein wirklich spießiges Poloshirt trug, konnte ich nicht leugnen, dass seine Gesamterscheinung dennoch erstaunlich attraktiv daherkam. Blond war schon immer mein Typ gewesen, besonders diese gewollt mühelos hochgegelte Frisur. Zu seinem Bizeps würde ich unter normalen Umständen auch nicht Nein sagen, aber seine Blasiertheit und das barsche Verhalten stellten sein gutes Aussehen komplett in den Schatten. So, wie das Segel langsam einen auf das Deck warf. Auf meinen Armen stellten sich die Härchen auf – ob wegen des plötzlichen Verlusts des Sonnenscheins oder der Tatsache, dass Alexanders Anblick mir Bauchschmerzen bereitete, konnte ich nicht sagen.
Er wirkte wie der Typ Mensch, der ohne Diskretion über andere herziehen würde, um sein eigenes Ego zu polieren, falsche Freunde aus Profitgründen hatte und Leute mit einem niedrigeren Kontostand als seinem für minderwertig hielt. Ich schwor mir, mich so gut es ging von ihm fernzuhalten, um diesen Job nicht in den Sand zu setzen. Er hatte keinen Bock auf mich? Zu seinem Glück beruhte das auf Gegenseitigkeit.
„Lillian, Schatz", erklang Mrs Parkers Stimme in meiner unmittelbaren Nähe. Ertappt wandte ich meinen Blick von Alexander ab und sah sie nur wenige Schritte von uns entfernt stehen. Mit einer Hand stützte sie sich auf der Lehne von einer der Bänke ab. Hoffentlich hatte sie nicht bemerkt, wohin genau ich geschaut hatte.
Lillian guckte ihrer Mom aufmerksam ins Gesicht. „Ja?"
„Wenn wir gleich segeln, möchte ich absolut kein Herumgeturne mehr, verstanden? Das ist zu gefährlich. Du bleibst bitte die ganze Zeit dort neben Brooke sitzen."
Lillian nickte brav und ich rang mir ein Lächeln ab, als Mrs Parker auch mir einen eindeutigen Blick zuwarf.
„Ich achte darauf", versicherte ich ihr.
„Gut. Ich verlasse mich auf Sie."
Der Wind traf mit voller Wucht auf das Segel, sobald seine Spitze am oberen Ende des Masts angelangte. Mit einem Ruck setzte die Yacht sich wieder in Bewegung, glitt beinahe geräuschlos durch das dunkle Wasser des Atlantiks. Der feste Stoff des Segels wölbte und spannte sich mit einem Knirschen unter der Naturgewalt und es kam mir vor, als versuchte es mich mit all seiner Imposanz einzuschüchtern. Als drohte es mir mit der schattigen Dunkelheit, die es erzeugte. Als würde es mich gnadenlos von Bord stoßen, wenn ich für einen Augenblick unaufmerksam war, weil der Wind sich drehte und das Segel ungebremst zur anderen Seite schwang.
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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...