S e c h s

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Ronan Parker und seinen Sohn meinetwegen streiten zu sehen war das Unangenehmste, was mir seit langem passiert war. Es war, wie wenn man früher bei Freunden zu Besuch war und die sich mit ihren Eltern stritten, nur um Längen schlimmer. Und auch jetzt hatte ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte.

Während Mr Parker sich mit zusammengebissenen Zähnen bemühte, die Auseinandersetzung zu zügeln und kein Aufsehen bei den anderen Bootsbesitzern zu erregen, war Alexander völlig egal, dass die ersten Köpfe sich bereits zu uns umdrehten.

„Ich verstehe nicht, was dein Problem ist", gab Mr Parker bedacht ruhig kund und sein Sohn lachte bitter auf.

„Klar, du hörst mir ja offensichtlich auch nie zu. Aber das ist ja nichts Neues." Er streckte seine Hand nach meinem Koffer aus und ich verstand nicht, warum er ihn jetzt anscheinend doch an Bord heben wollte. „Wahrscheinlich bin ich besser dran, wenn ich einfach hierbleibe."

„Meine Güte, Alexander." Sichtlich genervt von dem Verhalten seines Sohns hievte Ronan Parker ihm erneut meinen Koffer entgegen, den dieser kurz darauf mit einem Knall an Deck abstellte. Kaum merklich zuckte ich zusammen und hoffte, dass meine Kosmetikartikel den Aufprall überlebt hatten und ihren Inhalt nicht über meine Klamotten ergossen.

Alexander machte sich ohne ein weiteres Wort aus dem Staub und verschwand unter Deck, einen sichtlich verärgerten Ronan Parker und mich zurücklassend.

Zwei kurze Begegnungen reichten auf, um Alexander nicht zu mögen. Er verhielt sich wie ein verzogener Teenager, dem zu wenig Grenzen in der Kindheit gesetzt worden waren. Wenn ich mir den Luxus, über den diese Familie verfügte, ansah, war wahrscheinlich genau das auch der Fall.

Nachdem der erste Schock von mir abfiel, war ich einfach nur fassungslos über sein Verhalten. Charlie und ich hatten es nie gewagt, so respektlos mit unseren Eltern zu reden und um ehrlich zu sein hatte ich absolut nichts dagegen, wenn Alexander in Boston blieb, auch wenn das bedeutete, dass es ihm den Urlaub verdarb.

Das schlechte Gewissen darüber, das sich daraufhin in meinem Kopf ausbreiten wollte, drängte ich mit Nachdruck zurück. Es war nicht meine Schuld, dass ich diesen Job bekommen hatte. Mrs Parker hatte mich eingestellt und wenn das Probleme hervorrief, sollte er sie mir ihr klären und seine schlechte Laune nicht an mir auslassen. Seitdem ich die Größe der Segelyacht kannte, ahnte ich, dass mein Job nicht aus reiner Bequemlichkeit entstanden war. Hier wurden vermutlich alle Hände zum Segeln gebraucht und wäre Lillian meine Tochter, wäre mir auch mulmig dabei, sie unbeaufsichtigt an Deck rumturnen zu lassen.

„Bitte entschuldigen Sie diese Begrüßung", sprach Ronan Parker kopfschüttelnd, als müsste er das Geschehene genauso verdauen, wie ich. „Lassen Sie sich davon nicht beeindrucken. Ich werde gleich mal ein Wörtchen mit ihm reden und dann klärt dich das Ganze mit Sicherheit."

„Schon in Ordnung", winkte ich möglichst unbeeindruckt ab, dabei war es das ganz und gar nicht. Es war respektlos gewesen und das Letzte, das ich wollte, war, in die persönlichen Angelegenheiten dieser Familie hineingezogen werden.

Wäre ich nicht auf diese Stelle angewiesen, hätten Alexanders herablassenden Blicke möglicherweise bezweckt, was sie sollten. Nicht nur, weil er mich eingeschüchtert hatte, sondern auch, weil ich keine Lust hatte, seine Blasiertheit drei Wochen lang zu ertragen, falls sein Vater ihn doch zum Bleiben überreden konnte.

„So, dann bitte." Ronan Parker bedeutete mir mit einer eindeutigen Geste, das Boot zu betreten.

Ich straffte meine Schultern und atmete tief durch, bevor ich einen vorsichtigen Schritt über die Lücke zwischen Steg und Yacht setzte, in der das Wasser sachte tanzte. Zu meinem Erstaunen war der neue Untergrund tatsächlich überhaupt nicht wacklig. Trotzdem hielt ich mich mit beiden Händen an den Griffen neben der Treppe fest, als ich sie vor Mr Parker erklomm und zum ersten Mal die kompletten Ausmaße der Segelyacht zu Gesicht bekam.

SommergewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt