D r e i u n d d r e i ß i g

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Es dämmerte bereits, als Tante Erin mich am Flughafen in Savannah abholte und war dunkel, als wir nach einer halbstündigen Fahrt bei dem Polizeirevier eintrafen. Pembroke war eine winzige Stadt, mit weitläufigen, aber bescheidenen Grundstücken. Wir begegneten kaum anderen Autos und keiner einzigen Person, als wir über die einzige Hauptstraße durch das Zentrum fuhren.

Als Tante Erin ihren alten Wagen auf einem Parkplatz direkt an der Straße neben einem Polizeiauto parkte, stieg ich mit klopfendem Herzen aus. Obwohl es schon nach 22 Uhr war, war es noch erstaunlich warm und vor allem schwül.

„Der Anwalt ist schon da", ließ Tante Erin mich wissen, während wir eilig auf das Revier zuliefen. „Er hat auch schon mit Charlie geredet, aber er wollte auf dich warten, bevor das Verhör losgeht."

Ich nickte lediglich und Tante Erin drückte meine Hand, ehe wir das kleine Gebäude betraten. Zielstrebig steuerte ich den Tresen im Eingangsbereich an. Die Polizistin dahinter – sie war vielleicht um die 40 –sah auf. „Sie sind sicherlich die Schwester von Charlie Edison", begrüßte sie mich.

„Ja. Wie ist der Stand der Dinge? Kann ich zu ihm?"

„Zuallererst müsste ich ihren Ausweis sehen, dann können Sie ihn sehen."

Fieberhaft kramte ich in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie und brauchte einige Anläufe, die Plastikkarte herauszufriemeln, weil meine Finger vor Aufregung zitterten. Die Polizistin warf einen Blick darauf, tippte etwas in ihren Computer ein und reichte mir schließlich den Ausweis zurück. „Ihre Tasche dürfen Sie nicht mit hineinnehmen", sagte sie. „Wir können sie hier hinter dem Tresen lagern oder sie können sie bei Ihrer Tante lassen."

Fragend drehte ich mich zu Tante Erin zu.

„Ich passe darauf auf." Mit einem Lächeln nahm sie mir mein Gepäck ab.

„Danke", murmelte ich.

Mittlerweile war die Polizistin um den Tresen herumgekommen. „Dann folgen Sie mir bitte", sagte sie. Ich warf Tante Erin einen angespannten Blick zu.

„Du machst das schon. Ich warte hier", erwiderte sie auf meinen stummen Hilferuf und deutet auf eine Reihe ungemütlich aussehender Plastikstühle. „Falls etwas ist, sag einfach Bescheid." Sie schenkte mir ein warmes, ermutigendes Lächeln, das ich verkrampft erwiderte, ehe ich der Polizistin hinterherlief.

Sie führte mich in ein kleines Großraumbüro, in dem lediglich die Lampe eines einzelnen Schreibtischs brannte. Bei der späten Stunde wunderte mich das nicht – in diesem Kaff und seiner Umgebung passierte womöglich selten etwas, was sofortigen Handlungsbedarf erforderte, besonders nach Sonnenuntergang.

Wortlos öffnete die Polizistin eine Tür und bedeutete mir mit einem Nicken, einzutreten. Ich dankte ihr dafür, dass sie mir die Tür aufhielt, während ich über die Schwelle trat. Charlie saß an einem Tisch, neben einem Mann im Anzug – wahrscheinlich dem Anwalt – von dessen Oberfläche er müde aufblickte, als ich den grell erleuchteten Raum betrat. Die Erleichterung, die ihn bei meinem Anblick durchfuhr, war kaum zu übersehen. Sein Stuhl schrammte geräuschvoll über den Boden, als sich aufrichtete, nur um auf halber Strecke innezuhalten, als wüsste er nicht, ob er überhaupt aufstehen durfte. Als jedoch niemand etwas sagte, kam er mit langen Schritten auf mich zu und umarmte mich so stürmisch, dass ich einen Schritt nach hinten machen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Sanft strich ich über seinen Rücken. „Alles klar bei dir?"

Charlie ließ mich los und nickte, nur um gleich darauf den Kopf zu schütteln und die Schultern zu zucken.

Der Mann stand ebenfalls auf. Mit einem knappen Lächeln streckte er mir seine Hand entgegen, die ich für einen festen Druck ergriff. „Adrian Kline. Ich bin der Anwalt. Ihre Tante hat mich kontaktiert."

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