Z e h n

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Dass ich in der Nacht kein Auge mehr zugetan hatte und mich am nächsten Morgen dementsprechend ausgelaugt fühlte, war wohl nicht verwunderlich. Dafür versprühte Lillian so ungebändigt gute Laune, dass es für uns beide reichte. Seit ich aus meinem Zimmer gekommen war, brabbelte sie nahezu ununterbrochen, was meinen Kopfschmerzen zusätzliches Futter bot.

„Wie haben Sie denn in der ersten Nacht auf dem Wasser geschlafen, Brooke?", richtete Ronan Parker geschickt das Wort an mich, während seine Tochter den Mund voller Croissant hatte. Sie mochte zwar eine Quasselstrippe und eine unerträgliche Lerche sein, aber trotz ihrer fünf Jahre sprach sie nie mit vollem Mund. Niemand der Parkers tat das und bis jetzt hatte ich es auch nicht getan, weil ich mich überhaupt nicht traute, mich in ihre Gespräche einzuklinken. Nun allerdings musste ich erst einmal das Toastbrot in meinem Mund krampfartig runterschlucken, bevor ich Mr Parker als Antwort eine glatte Lüge auftischte: „Sehr gut", ließ ich ihn mit einem Lächeln wissen, hinter dem ich hoffentlich verstecken konnte, dass ich mit Glück auf zwei Stunden Schlaf gekommen war, weil sein Sohn mitten in der Nacht in meinem Zimmer gestanden hatte. Dieser lag immer noch in seinem Bett und schlief seinen Kater aus – das vermutete ich jedenfalls, denn mit an dem runden Tisch an Deck, an dem wir schon gestern Mittag gegessen hatten, saß er nicht. Mir war das mehr als recht.

„Das ist das Gute an der Seebriese", erwiderte Mr Parker. „Man schläft wie ein Baby!" Seine grauen Haare waren noch feucht von seiner morgendlichen Dusche. Er hatte sie lediglich ordentlich zurückgekämmt, während Mrs Parker ihre Haare schon in einen tadellosen Pferdeschwanz gebunden und mit ziemlich viel Haarspray fixiert hatte. Ich roch den blumigen Duft bis hierher.

Mir ein Lachen abringend stimmte ich Mr Parker zu, und war froh, als er von seinem mit Lachs belegten Brötchen abbiss, denn das bedeutete, dass er vorerst nicht weiter mit mir reden würde.

Ob er wusste, dass sein Sohn sich so abgeschossen hatte? Wäre ich an seiner Stelle, hätte ich mir von meinen Eltern so einiges anhören müssen. Ihnen hatte es überhaupt nicht gefallen, wenn ich früher auf irgendwelchen Partys getrunken hatte, auch, wenn es meiner Minderjährigkeit wegen gewesen war. Damals hatte ich nicht verstanden, wo das Problem lag. In anderen Ländern durfte man schließlich schon mit sechzehn legal trinken.

Seit ihrem Tod verstand ich allerdings, warum sie Alkohol so gefährlich gefunden hatten. Und seitdem rührte ich Alkohol nur noch selten an und wenn, dann nur in Maßen. So, dass ich nie die Kontrolle über meinen Verstand oder meinen Körper verlor.

„Du siehst aus wie eine Erdbeere."

Im ersten Moment registrierte ich nicht, dass Lillian mich meinte, so sehr war ich in meinen Gedanken versunken. Erst, als ihre Mutter ihr einen ermahnenden Blick zuwarf und anmerkte, dass man nicht schlecht über andere Menschen sprach, war ich zurück in der Realität angekommen.

„Ach, schon gut", winkte ich ab. Ich hatte mich vorhin schließlich schon selber im Spiegel gesehen und der Vergleich mit einer Erdbeere traf meine Hautfarbe ziemlich gut. „Meine Sonnencreme hat wahrscheinlich einen zu geringen Lichtschutzfaktor."

Mrs Parker taxierte mich. „Wie hoch ist er denn?"

„Dreißig, glaube ich."

„Das ist definitiv zu wenig." Sie trennte ein Stück Melone galant mit Messer und Gabel von seiner Schale. „Sie sollten sich bei der nächsten Gelegenheit eine mit mindestens fünfzig zulegen. Auf dem offenen Meer kommt die Sonneneinstrahlung durch die Reflektion auf der Wasseroberfläche von allen Seiten. Da kommt es schneller zu Sonnenbränden, als Sie denken. Selbst bei diesem Wetter." Sie deutete hoch zum Himmel, der nicht mehr so klar wie gestern war. Etliche Schäfchenwolken zogen über den Hafen und auch der Wind war aufgefrischt.

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