D r e i z e h n

5.9K 482 113
                                    

Song: One Way Or Another - Kyle Reynolds

Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals zuvor in meinem Leben irgendetwas so gründlich geputzt zu haben, wie die Segelyacht von Familie Parker. Seit fast über einer Stunde war ich dabei, jede Oberfläche, auf der sich Staub ansammeln könnte, abzuwischen, die beiden Bäder zu schrubben, Spiegel zu polieren und mich auf den Boden zu knien, damit ich unter den Betten staubsaugen konnte. Ich feudelte sogar jede geflieste Fläche mit einem Wischmopp, wozu ich mich Zuhause mit Glück alle drei Monate motivieren konnte.

Es war ein komisches Gefühl, in den Zimmern und zwischen den Sachen meiner Arbeitgeber herumzuwuseln. Ich hatte Mrs Parker vorher sogar gefragt, ob es ihr lieber war, wenn ich diesen Teil meiner Aufgaben erledigte, solange jemand an Bord war, doch ihr war das total egal gewesen. Eigentlich hatte ich mit dem Putzen warten wollen, bis Familie Parker zum Abendessen verschwunden war, aber mir war die niedrige Decke meines kleinen Zimmers auf den Kopf gefallen, weil ich nichts zu tun hatte, außer über Sachen nachzudenken, über die ich nicht nachdenken wollte.

Ich hatte mich bereits vom vorderen Teil der Yacht zum hinteren vorgearbeitet. Das Bad, das Alexander und ich uns teilten, glänzte makellos, trotzdem wischte ich schon zum zweiten Mal mit einem feuchten Tuch über die Waschbeckenarmatur. Ein Zimmer stand mir noch bevor. Genaugenommen waren es zwei, aber weil ich keine Lust hatte, meins nach der wenigen Nutzung zu putzen, war es nur noch das von Alexander. Schon deswegen zog ich in Erwägung, mir mein eigenes doch noch vorzuknöpfen, einfach, um mich noch ein bisschen vor seinem zu drücken.

Er wollte mich nicht hier haben und das bedeutete doch gleichzeitig, dass er nicht wollte, dass ich sein Zimmer reinigte. Trotzdem würde er mir einen Strick draus drehen, wenn ich die Frechheit besäße, es auszulassen.

Ich begegnete meinem unschlüssigen Gesicht im Spiegel und stützte überfordert die Hände neben einem der beiden Waschbecken ab. Einige Sekunden lang starrte ich mir selber in die Augen, dann atmete ich tief durch. Es war echt armselig, dass ich mich so anstellte. Ich wusste noch nicht einmal, wovor ich überhaupt Angst hatte. Dass er in sein Zimmer kam und mich beim Putzen erwischte? Denn ich würde nichts anderes tun. Und wenn ich mich beeilte, würde ich nicht länger als zehn Minuten brauchen. Innerhalb von zwei Tagen würde er es schon nicht geschafft haben, ein komplettes Chaos zu verrichten.

Ich drückte meinen Rücken durch. Ich würde jetzt sofort aufhören eine Memme zu sein, in dieses Zimmer gehen und das Putzen durchziehen, solange er seinen vermeintlichen Alabasterkörper noch an Deck sonnte.

Mir den Eimer mit dem Putzzeug schnappend klopfte ich sicherheitshalber an die Tür, bevor ich sie öffnete, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, wie schwer es mir fiel, in sein Reich einzudringen.

Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte vorzufinden, doch irgendwie war ich trotzdem überrascht. Vom Schnitt her war sein Zimmer eine Spiegelung von meinem, nur, dass seins noch unberührter war. Hier flog absolut gar nichts herum. Keine Klamotten auf dem Fußboden oder über die Lehne des einzigen Stuhls gehängt. Keine Bücher, kein Laptop, keine Süßigkeiten. Nichts, was auf irgendwelche Freizeitbeschäftigungen hindeutete. Lediglich ein Digitalwecker und eine Armbanduhr befanden sich auf dem Nachttisch, neben dem ein Handyladekabel aus der Steckdose baumelte, dessen Ende sich irgendwo zwischen den ungemachten weißen Laken seines Bettes versteckte.

Keine Bücher, kein Rucksack, keine Süßigkeiten. Nichts, was irgendetwas über ihn aussagen würde. Da war nur diese teure Rolex.

Als ich mich daran machte, seine Bettlaken zu ordnen, fand ich noch nicht einmal ein T-Shirt oder eine andere Klamotte, die auf etwas wie einen Schlafanzug hindeutete. Vielleicht schlief er nur in Boxershorts. Oder komplett nackt.

SommergewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt