Ich gewöhnte mich schnell an die Routine, die mein neuer alter Job mit sich brachte, wobei sie zugegebenermaßen auch ziemlich entspannt war. Ich hatte die meisten Vormittage frei und nutzte diese Zeit, um mich um meinen eigenen Haushalt zu kümmern, Besorgungen zu machen oder mich mit Noemi zu treffen, soweit sie sich Zeit freischaufeln konnte.
Mittags holte ich Lillian aus einem ziemlich elitären Kindergarten ab, wo den Kindern schon in jungen Jahren Benimmregeln besser beigebracht wurden, als sie manch einer im hohen Alter besaß. Anstatt die Kinder einfach Kinder sein zu lassen, wurde penibel darauf geachtet, dass sie sogar beim Spielen Bitte und Danke sagten, und frühkindliche Förderung stand täglich auf der Tagesordnung.
Das Kontrastprogramm dazu bekam Lillian dafür Zuhause. Ich ließ sie tun und machen, was sie wollte, was nicht gerade selten zu Sauereien führte. Carmen, die Haushälterin der Parkers, war oft die einzige weitere Person in der Penthouse-Wohnung, während Mr und Mrs Parker ihren Jobs nachgingen, und sie wahrte nicht nur Stillschweigen darüber, wie wir einmal das Bad unter Wasser gesetzt hatten, weil Lillian mit ihren Badetieren Aquarium spielen wollte, oder regelmäßig die Küche in einem Saustall hinterließen, sondern half uns sogar jedes Mal beim Aufräumen.
Ich schloss sie ebenso schnell ins Herz, wie Lillian damals, und war unheimlich froh darüber, das Jobangebot angenommen zu haben. Die Beziehung zu den Parkers war zwar immer noch nicht die lockerste, aber sie bemühten sich, meine Arbeit zu würdigen und mich respektvoll zu behandeln, wenn sie mich von meiner Aufsichtspflicht ablösten.
Was Alex betraf, ließ die früher oder später zustande kommende Begegnung erstaunlich lange auf sich warten. Die Angst davor war nach ein paar Tagen, in denen ich ihn nicht angetroffen hatte, in Nervosität umgeschlagen, die zuerst immer höher geklettert und nach ihrem Höhepunkt wieder abgeflacht war, weil Alex nicht auftauchte. Irgendwann dachte ich während der Arbeit nur noch selten darüber nach, weil ich abgelenkt war. Zuhause allerdings schlug ich mir immer noch regelmäßig die Nächte um die Ohren. Jetzt, wo ich mir keine Sorgen mehr um Geldnot machen musste, war das wohl das nächstliegendste Problem, für das ich keine Lösung finden konnte. Vor einigen Wochen hatte ich aufgehört, mein Handy mit in mein Schlafzimmer zu nehmen, weil es stundenlang umklammert gehalten hatte, um Alex' Profilbild anzustarren oder Nachrichten an ihn zu tippen, die ich nie abschickte. Ich hatte mir erhofft, dass ich schneller zu einer Entscheidung kommen könnte, wenn ich sein Gesicht nur in meinen Erinnerungen sah, aber irgendwie klappte auch das nicht.
Ich kaute jeden einzelnen meiner Gedanken durch, bis er so zermahlen war, dass er wie Sand durch meine Finger glitt und ich wieder mit Nichts dalag. Ich dachte an die guten Momente und an die schlechten, dachte an Mom und Dad und daran, dass ich Noemis Missgunst immer mehr nachvollziehen konnte. Alex hatte mir wirklich nicht gut getan. Jetzt musste ich nur noch zu dem Punkt kommen, wo nicht nur mein Kopf das begriff, sondern auch mein Herz.
Wahrscheinlich flippte es deshalb so aus, als Alex auf einmal vor mir stand, während mein Kopf sich vor Überrumplung in ein schwarzes Loch verwandelte.
Es war ein verregneter Samstagabend, die Sommerferien waren längst vorüber, Charlie ging wieder zur Schule und hatte einen Job als Aushilfe in einem Supermarkt begonnen.
Ich blieb wie versteinert im Fahrstuhl stehen, während mir das Herz erst in die Hose rutschte und dann losraste. Vielleicht hätte ich wie eine Idiotin auf den Knopf drücken sollen, der die Türen schloss, aber ich konnte mich nicht bewegen. So war Alex schneller, er schob gerade noch seinen Arm zwischen die Türen und das entschuldigende Lächeln, das er aufgesetzt hatte, verblasste in dem Moment, in dem er mich erkannte. Er trug einen hellgrauen Stoffmantel und sein Haar war zerzaust vom draußen wütenden Wind, der den vor der Tür stehenden Oktober ankündigte.
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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...