A c h t u n d v i e r z i g

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Ohne Alex war alles anders.

Er fehlte. Nicht nur mir, sondern auch Mr und Mrs Parker beim Segeln. Es war nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören. Die beiden lagen sich den gesamten Törn über gereizt in den Haaren, während sie versuchten überall gleichzeitig zu sein. Dass das Boot teilweise automatisiert war, schien hier nicht viel zu helfen.

Lillian und ich saßen mittendrin und vermieden Augenkontakt mit ihren Eltern, aus Angst, auch einen verbalen Seitenhieb zu kassieren. Ich hatte Mühe, meine Aufmerksamkeit ihr und nicht meinen Gedanken zu schenken. Zu häufig erwischte ich mich dabei, ihr nicht richtig zuzuhören und auf gut Glück zu lächeln oder zu nicken, was nur so lange gut klappte, bis sie irgendwann mitten beim Ausmalen von Mandalas fragte, warum ich so traurig war. Manchmal war es erstaunlich, dass Kinder schon viel mehr verstanden, als man ihnen zutraute.

„Ach, ich finde es nur schade, dass die Ferien bald vorbei sind", antwortete ich und lächelte ihr hoffentlich beruhigend zu.

„Ich auch", gab sie zurück und malte bedacht mit einem gelben Stift ein Feld aus. „Ich bin traurig, weil Alex nicht mehr da ist."

Ich schluckte. „Ja, das ist wirklich schade."

„Seid ihr verliebt?"

Erschrocken malte ich bei meinem eigenen Mandala über den Rand. Mist. Ich warf Lilly einen hastigen Blick zu und hoffte, dass sie nicht auch noch meine verräterische Nervosität deutete. „Wie kommst du denn darauf?"

„Als wir verstecken gespielt haben, habe ich gesehen, wie ihr euch auf den Mund geküsst habt." Lillian zog ihre kleine Nase kraus, ohne von ihrem Mandala aufzuschauen.

Oh mein Gott. Fieberhaft suchte ich nach einer Erklärung, während ich mich gleichzeitig nach Mr und Mrs Parker umsah, die zu meinem viel zu beschäftigt mit irgendwelchen Seilen waren. Auch, wenn es mittlerweile ja sowieso egal war, ob sie etwas davon mitbekamen, denn sie wussten es sowieso. Und jetzt auch, dass es kläglich gescheitert war, was die ganzen unangenehmen Zwischenfälle der vergangenen Wochen nur noch peinlicher machte.

„Ähm, weißt du, manchmal ist es so, dass man verliebt ist, aber feststellt, dass man damit nicht so glücklich ist." Gott, was zur Hölle redete ich da? Das war bestimmt völlig unverständlich für sie. Fieberhaft suchte ich nach einer kinderfreundlicheren Erklärung. „Es ist ein bisschen so, wie wenn du im Kindergarten eine Freundin findest, mit der du dich total gut verstehst, aber dann auf einmal ist sie gemein zu dir und du möchtest nicht mehr mit ihr befreundet sein. Ist dir sowas schon mal passiert?"

Lilly nickte prompt. „Einmal hat Emily mich einfach so gebissen, weil ich ihr eine Schaufel nicht gegeben hab. Die habe ich selber gebraucht, um eine Sandburg zu bauen und sie wollte nicht warten, bis ich fertig bin!"

„Das ist ja überhaupt nicht nett gewesen von Emily", bestätige ich empört.

„Nein!"

Damit war das Thema Alex und Verliebtheit so schnell wieder vom Tisch, wie es aufgekommen war. Ich versuchte den dunklen Filzstift, mit dem ich übergemalt hatte, durch eine noch dunklere Farbe zu kaschieren, ebenso wie die Welle an Emotionen, die über mich hinwegschwappte und drohte, mich nicht zurück an die Wasseroberfläche zu lassen.

Das Gute war, dass ich ohne Alex endlich dazu kam, meinen Job ohne Zwischenfälle auszuführen. Ich richtete alle Konzentration, die ich aufbringen konnte, auf Lillian. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit ihr, denn Mr und Mrs Parker hatten entschieden, dass es keinen Sinn ergab, den Törn ohne Alex unnötig in die Länge zu ziehen. Die Segelfahrten wurden länger und weil die beiden abends so geschafft waren, beschäftigte ich mich auch dann noch mit Lillian. Es hatte Vorteile für uns alle. Erholung für die Parkers und Ablenkung für mich.

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