S i e b e n u n d v i e r z i g

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Der Unterschied zwischen Albträumen und der Realität ist, dass man den Albträumen entkommen kann. Es machte sie nicht erträglicher, aber man vergisst sie leichter, bis sie in der nächsten Nacht wieder da sind und schon ins Bewusstsein eindringen, bevor man irgendwann voller Angst und schweißgebadet hochfährt, weil man sie nicht mehr erträgt.

In dieser Nacht hätte ich die Realität sofort gegen meine Albträume eingetauscht, aber die Option war mir nicht geboten. Ich hätte alles dafür gegeben, aufzuwachen und mit schnell klopfendem Herzen festzustellen, dass ich nur geträumt hatte. Dass Alex nicht in ein Auto mit betrunkenem Fahrer gestiegen war, dass meine Eltern nicht von einem betrunkenen Fahrer umgebracht worden waren, dass mein Herz nicht in tausend Teile zersplittert war. Erst vor drei Jahren und jetzt schon wieder.

Ich bekam nur am Rande mir, dass Kimberley mich gemeinsam mit einer Freundin, die nüchtern war, in einem Auto nach Hause brachte, mich in mein Zimmer begleitete und sich tausendfach vergewisserte, ob sie mich alleine lassen konnte. Ich nickte so lange mechanisch, bis sie es mir glaubte.

„Ich schlafe heute Nacht hier. Wenn was ist, schreib mir eine Nachricht oder ruf an, okay? Ich hab dir meine Nummer auf den Nachttisch gelegt und lasse mein Handy auf laut."

Ich nickte wieder nur, auch wenn ich jetzt schon wusste, dass ich ihr Angebot nicht annehmen würde. Ich wollte alleine sein, aber als ich es war, konnte ich immer noch nicht verstehen, was da gerade passiert war, obwohl ich das schon längst getan hatte. Ich wollte es nur einfach nicht wahrhaben.

Er hatte mich schon wieder verletzt. Nicht so, wie ich es erwartet hatte, aber dafür um einiges heftiger als all die vorherigen Male zusammen. Und das Schlimmste war, dass ich es insgeheim die ganze Zeit gewusst hatte. Jedes beschissene Stoppschild hatte ich einfach überfahren und ich sollte mich verdammt nochmal nicht wundern, dass ein LKW – nein, ein Four Wheeler – mich mit voller Wucht erwischt hatte.

Ich schleppte mich zur Tür, um sie abzuschließen, bevor ich mich zu einem Ball auf meinem Bett zusammenrollte. Meine Emotionen erdrückten mich so sehr, dass sie mich lähmten. Ich weinte nicht, ich schrie nicht, ich lag einfach nur da und starrte in die Dunkelheit, begleitet von dem ständigen Druck auf meiner Brust, von dem ich nicht wusste, ob er von meinem Herzen oder meiner Lunge ausging.

Die erste Regung erschütterte mich, als es an meiner Tür klopfte. Es war, als wollte es mich daran erinnern, dass in mir noch Leben war. Dass mein Herz noch schlagen konnte und meine Tränendrüsen noch intakt waren. Augenblicklich presste ich meine Hand auf meinen Mund, um ja keinen Laut von mir zu geben.

Ich wusste genau, wer auf der anderen Seite der Tür stand und es schnürte mir den Hals nur noch enger zu.

Alex ruckelte am Türknauf und obwohl ich genau aus dieser Vorahnung abgeschlossen hatte, setzte mein Herz für einen Moment aus. Tränen stiegen mir in die Augen.

Ich hörte ihn gedämpft fluchen und gegen den Türrahmen schlagen, dann war für quälend lange Sekunden Ruhe, in denen ich wie versteinert auf die Tür starrte.

„Brooke."

Ich hielt die Luft an.

„Bitte mach die Tür auf."

Hoffte, er würde mein ohrenbetäubend lautes Herz nicht hören.

„Brooke, bitte."

Presste meine Hand noch fester auf meinen Mund, als ein Schluchzen sich in meiner Kehle bildete.

„Scheiße, was ist los? Ich will doch nur wissen, dass es dir gut geht."

Ein Wimmern drang aus meinem Mund und an meiner Hand vorbei. Er hatte keine Ahnung. Er hatte keine Ahnung, was er angestellt hatte und auch nicht den leisesten Schimmer, wie verantwortungslos es gewesen war. Dass er Menschen damit in Lebensgefahr gebracht hatte. Nicht nur andere, sondern auch sich selbst. Und ich hasste mich dafür, dass ich in diesem Moment nur an die Erleichterung denken konnte, weil es ihm gut ging.

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