D r e i ß i g

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Song: High Society - Betty Who

◇ ◇ ◇ 

Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch fuhr ich über den Stoff des cremefarbenen Midikleides, das Kimberley mir gestern bei unserer Shoppingtour förmlich aufgezwungen hatte. Es hatte mehr gekostet, als ich normalerweise in einem Monat verdiente, und so groß mein schlechtes Gewissen noch immer war, dass es viel teurer als die Kleider im ersten Geschäft gewesen war, desto wohler fühlte ich mich in dem leicht fallenden Stoff.

Es war von oben bis unten mit grober Spitze im Boho-Stil verziert, hatte lange, luftige Trompetenärmel und einen für meine Verhältnisse ziemlich gewagten Ausschnitt. Noch dazu schmeichelte es meiner ungewohnt gebräunten Haut, die ich dank der vielen Zeit an der frischen Luft bekommen hatte.

Dafür, dass ich nur das Kindermädchen war, fühlte ich mich beinahe viel zu elegant, vor allem nachdem die Stylistin sich um mein Make-Up gekümmert hatte. Nur mit dezentem Liedschatten und Mascara hatte sie es geschafft, meine Augen optimal zu betonen und mich strahlender als normalerweise aussehen zu lassen. Ich konnte problemlos mit den Gästen mithalten, die nach und nach auf dem Anwesen eintrudelten. Zwar gab es einige Frauen, die schon fast zu schwere Abendkleider für das Setting und die Jahreszeit trugen, aber die meisten waren ähnlich sommerlich elegant gekleidet wie ich.

Die einzige Person, die niemand auf der Feier toppen konnte, war Lillian. Die Rolle der süßen Prinzessin war ihr wie auf den Leib geschneidert. In ihrem neuen blassrosa Kleid mit den Rüschen am Rock und einem Blumenkranz auf dem Kopf sah sie entzückend aus.

„Na, ihr zwei Hübschen." Kimberley tauchte neben mir auf, ein Lächeln auf den Lippen. Ihr himmelblaues Plisseekleid wurde sanft von der leichten Brise umschmeichelt, die durch die geöffneten Flügeltüren in das formelle Wohnzimmer wehte.

„Guten Tag", erwiderte Lillian überkandidelt, zeitgleich zu meinem vergleichsweise schon fast leidenschaftslosen „Hey."

„Wow, du siehst ja zauberhaft aus! Wie eine Elfe", komplementierte Kimberley Lillians Outfit. „Dreh dich mal!"

Ohne zu zögern kam Lillian dem Wunsch ihrer Halbschwester nach und drehte sich so lange mit wallendem Rock um ihre eigene Achse, bis sie beinahe vor lauter Schwindel umkippte.

„Atemberaubend", bestätigte Kimberley ihre eigenen Worte, während Lillian halb gegen mich taumelte. Lachend stützte ich sie, indem ich beide Hände auf ihre Schultern legte.

„Du siehst aber auch sehr hübsch aus", sagte ich zu Kimberley, die das Kompliment lächelnd annahm.

„Danke. Wie schlägst du dich bis jetzt?"

„Ach, sehr gut", winkte ich ab, wobei mein Ärmel durch die Armbewegung elegant mitschwang. „Bis jetzt ist ja kaum etwas passiert."

„Das stimmt. Wie sieht's aus, wollen wir uns mal einen Welcome-Drink organisieren?"

Lillian nickte an meiner Stelle stark. Anscheinend war ihr Schwindelanfall schnell wieder vorüber. Zu dritt brachen wir in den Garten auf, der im Vergleich zum Vortag nicht mehr wiederzuerkennen war. Die Hälfte des Rasens war mit Holzplanken abgedeckt worden, auf denen runde Tische für das spätere Dinner platziert worden waren. Jeder einzelne war mit einem üppigen Strauß weißer Hortensien, goldenen Windlichtern und dazu passendem Besteck dekoriert und die hellen Tischdecken wurden sanft vom Wind umspielt.

Entlang des Weges zum Strand waren kleine Pavillons aufgebaut, die luxuriöse Loungemöbel beherbergten und in der Nähe des Pools stand ein DJ-Pult, hinter dem der DJ instrumentale Popmusik in gedämpfter Lautstärke spielte.

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