F ü n f u n d d r e i ß i g

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Zurück in Neuengland zu sein, war, als hätte ich versehentlich einen Flug ins britische England bestiegen. Abgesehen davon, dass der Landeanflug auf den JFK-Airport der schlimmste meines Lebens war, weil Windböen die Maschine so stark aus der Balance brachten, dass ich um mein Leben fürchtete, war die Luft im Vergleich zu vorgestern erheblich abgekühlt.

Alexander, der mich in der Ankunftshalle abholte, beschwerte sich spielerisch darüber, was ich für ein schlechtes Wetter mitgebracht hatte, was mir lediglich ein halbherziges Lachen entlockte.

„Was Besseres ist dir nicht eingefallen?", entgegnete ich müde, einerseits wegen des einfältigen Spruchs, aber auch, weil ich die Aufregung der letzten Tage so langsam in meinen Knochen spürte.

Es war komisch, ihn wiederzusehen. Ich musste gestehen, dass ich davor Bammel gehabt hatte. So viele Dinge standen zwischen uns und obwohl ich dachte, diesbezüglich eine Entscheidung getroffen zu haben, war da wieder dieses aufgeregte Kribbeln bei seinem Anblick in einer olivgrünen Steppjacke und dunkelblauer Jeans in mir aufgestiegen. Ich war ihm unendlich dankbar für das, was er in den letzten beiden Tagen für mich getan hatte, aber es hatte nicht gerade dazu beigetragen, mir die Sache mit dem Abstand weiterhin vor Augen zu führen.

„Leider nicht." Alexander grinste verschmitzt, während er mir bedeutete ihm durch das Flughafengebäude zu folgen. Neben ihm fühlte ich mich beinahe underdressed. Ich trug ein ausgewaschenes helles T-Shirt von Tante Erin, das sie mir als Ersatz für mein Ertränktes geschenkt hatte. Alexander hingegen sah mit dieser Jacke aus, als wäre er Besitzer eines herrschaftlichen Herrenhauses auf dem Land in Schottland, selbst wenn er sie so lässig offen trug wie gerade. „Es ist allerdings wirklich heftig draußen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich bei dem Regen die weite Strecke in die Hamptons rausfahren will."

„Was?" Konsterniert sah ich ihn an. „Aber ich habe deinen Eltern- deinem Vater und Mrs Parker schon Bescheid gesagt, dass ich heute wiederkomme."

„Es ist schon fast 21 Uhr, Brooke. Lilly ist längst im Bett. Wir können in unserem Apartment in Manhattan schlafen und uns dann morgen früh auf den Weg zurück machen. Ich war sowieso schon die ganze Zeit hier, weil Kim sich schlussendlich doch um Lilly gekümmert hat und unter diesen Umständen springt sie bestimmt nochmal ein."

Ich fasste es nicht. Das zum Thema er würde sich um Lillian kümmern. Er war noch nicht einmal zurück zu seiner Familie gefahren, obwohl er mir versichert hatte, für mich einzuspringen. Nicht, dass es jemand anderes tat. Und jetzt bekam ich Gewissensbisse, weil ich durch meine Reise Kimberley Zeit gestohlen haben könnte.

„Aber was, wenn sie morgen früh schon etwas geplant hat?", warf ich also ein.

„Es war doch bis vor ein paar Stunden noch gar nicht sicher, wann genau du überhaupt wiederkommst. Das wird schon klar gehen."

Ganz und gar nicht begeistert von Alexanders Plan folgte ich ihm durch die vielen Reisenden, vorbei an gestressten Anzugträgern und tiefenentspannten Touristenfamilien. Ich wollte nicht mit ihm in irgendeinem Apartment schlafen. Der Gedanke, alleine mit ihm in einer Wohnung zu sein, bereitete mir ein flaues Gefühl im Magen.

Als wir nach einigen Minuten das schützende Gebäude verließen, schüttete es wie aus Kübeln. Der Regen peitschte mir trotz Alexanders aufgespanntem Regenschirm auf dem Parkplatz kalt ins Gesicht. Obwohl es überhaupt nichts nützte, eskortierte er mich an sämtlichen geparkten Autos vorbei bis hin zur Beifahrertür und lief erst um den Range Rover herum, als ich im Trockenen platzgenommen hatte.

Ich ließ den Blick an meinen nassen Klamotten hinabwandern, nur um festzustellen, dass das Shirt auf einmal ziemlich durchsichtig war. Mist.

SommergewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt