Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Kunst auf einem Haufen erlebt, wie in dem urigen Zentrum von Provincetown. Seitdem ich zu der schmalen Einkaufsstraße unweit des Hafens gefunden hatte, konnte ich mich nicht sattsehen. Es war irgendwie wie in Plymouth und doch komplett anders. Die Häuser hatten den gleichen, einladenden und gemütlichen Charakter, aber sie waren viel bunter. Die gesamte Farbpalette eines Regenbogens war an den Holz- und Schindelfassaden vertreten. Passend dazu hingen immer wieder Girlanden mit Regenbogenfahnen über der Straße und auch an Masten oder in Fenster eingeklemmt konnte man sie finden.
Provincetown war bekannt dafür, der Urlaubsort für homosexuelle Paare zu sein, besonders um den nicht mehr weit entfernten 4. Juli herum. Sobald ich mich daran erinnert hatte, fiel mir auch auf, wie viele gleichgeschlechtliche Pärchen an den vielen kleinen Läden, Cafés und Galerien vorbeischlenderten. Generell waren die engen Straßen im Verhältnis zu ihren schmalen Fußwegen vollkommen überlaufen. Die Leute wichen immer wieder auf die Straße aus, was die wenigen Autofahrer jedoch gelassen über sich ergehen ließen. Niemand schien von irgendetwas gestresst oder genervt zu sein, was die Menschenmenge seltsam erträglich machte. Jeder wich mir geduldig aus, als ich zum wiederholten Male stehen blieb, um ein Schaufenster zu begutachten, in dem handgefertigter Schmuck ausgestellt wurde. Es war faszinierend, wie akkurat all die kleinen Stücke gearbeitet waren. Wie viel Mühe und Arbeitsstunden dahinterstecken mussten, ließ sich nur anhand der beträchtlichen Preise annähernd erahnen.
Während ich schwermütig mit leeren Händen weiterziehen musste, konnten sich wahrscheinlich die meisten der Touristen hier ohne Probleme eines der Schmuckstücke leisten. Das war ein weiterer Unterschied zu Plymouth: Die Leute hier wirkten kultivierter, nicht so sorglos und zufrieden wie bei unserem letzten Stopp, als spukten ihre Bürojobs sogar im Urlaub in ihren Hinterköpfen herum. Obwohl sie alle simple Outfits trugen, war doch kein Kleidungsstück willkürlich ausgewählt. Alles passte tadellos zusammen, selbst der Schmuck und der Nagellack der Frauen war auf den Rest abgestimmt. Aber Cape Cod war nun mal teures Pflaster. Wer sich auf der Halbinsel ein Ferienhaus leisten konnte, auch wenn es nur ein kleines war, brauchte einen überdurchschnittlich gut bezahlten Job, wenn nicht sogar eine eigene erfolgreiche Firma. Im Vergleich zu Familie Parker wirkten sie dennoch allesamt bodenständig.
Ich lief an einer französischen Bäckerei vorbei, aus der ein köstlicher Geruch von frischen Croissants direkt in meine Nase drang und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Gleichzeitig entdeckte ich ein weiteres Schaufenster, das meine Neugier auf sich zog. Landschaftsmalereien, schätzungsweise aus der Gegend, waren ausgeklügelt hinter einer Glasscheibe in einer kleinen Nische angeordnet, um so viele von ihnen wie möglich zur Schau zu stellen. Zu meinem Leidwesen war so nur wenig von dem Inneren der Galerie zu erkennen, dass ich mich kurzerhand dazu entschloss, durch die offenstehende Tür hineinzutreten.
Eine kleine Glocke ertönte über meinem Kopf, sobald ich über die Schwelle trat. Ich schob meine Sonnenbrille in meine Haare und sah mich neugierig um. Trotz des hellen Sonnenscheins war es ungewöhnlich dunkel in dem weitläufigen Raum. Dutzende Bilder nahmen beinahe jedem Zentimeter ein. Sie standen auf Staffeleien, auf Tischen und dem Boden, hingen an Wänden und ließen gerade einmal Platz für einen schmalen Gang, der an allen Ausstellungsstücken vorbeiführte. Meine langsamen Schritte knarzten auf den abgenutzten Holzdielen, während ich mich langsam einen Weg durch das künstlerische Chaos bahnte.
Es faszinierte mich ungemein, mit wie viel Geduld die Maler dieser Werke Pinselstrich für Pinselstrich zu einem endgültigen Bild verbunden hatten. Einige der Malereien wirkten wie Fotografien, bis ich ganz nah an sie herantrat und hauchdünne Pinselstriche erkennen konnte. Andere wiederum waren so abstrakt gemalt, dass man nur aus der Ferne eine Landschaft erahnen konnte.
Es war schlichtweg großartig.
„Dass ich dich hier treffe, überrascht mich so gar nicht."
Erschrocken presste ich eine Hand auf mein Herz.

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Sommergewitter
RomanceWo strahlender Sonnenschein auf eiskalte Wellen trifft, schneidender Wind auf gespannte Segel und High Society auf urige Fischerdörfchen kollidieren die Herzen von Brooke und Alexander wie Donner in einem Sommergewitter. Drei Wochen als Kindermädche...