6. Kapitel

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'Santiago' war ein Burgerladen, in dem es nur diese amerikanische Spezialität gab. In sämtlichen Varianten. Ich bevorzugte die Klassische, während Antoine den französischen Burger nahm. Logisch. Obwohl er immer der Meinung ist, dass das mit seinem Herkunftsland in gar keinen Zusammenhang ist, sondern allein an dem Geschmack liegt. Ja, klar. Dazu bestellte er Pommes rot/weiß.

Wir setzten uns an einen der Tische. Das ganze Restaurant war in den blau-weiß-roten Farben gestaltet. Amerikanische Flaggen hingen überall, sogar auf der Toilette.

"Das war eine super Idee, mit dem Burger", sagte ich grinsend und Antoine nickte. Ich wischte mir Soße von der Wange.
"Definitiv. Der After-Pub-Burger. Wenn Madame richtig essen könnte..."
Ich war versucht ihm einen der frittierten Kartoffeln ins Gesicht zu werfen, täuschte jedoch nur an.

"Nicht schon wieder eine Pommes-schlacht anzetteln, Elena," schüttelte er lachend den Kopf. Eine Pause entstand.

"Weißt du, wer nächste Woche nach Valencia kommt?", fragte Antoine.
"Nee, wer denn?" Ihm musste man auch oft alles aus der Nase ziehen, wie meinem Bruder.
"Mein Bruder!"
"Theo kommt? Wie cool! Wann kommt er an?" Antoines kleiner Bruder Theo war echt süß, er war gerade 17 Jahre alt geworden und für jeden Spaß zu haben.
"Am Mittwoch und er bleibt bis Freitag. Meine Mutter kommt auch. Da wollte ich fragen, ob wir am Mittwoch bei euch essen dürfen?"
"Klar! Ich freu mich!" Ich nahm einen Schluck von meiner Cola.
"Vielleicht hättest du Lust und Zeit mit uns zusammen zu essen?" Antoine sah mich schüchtern an. Wieso tat er das?
"Lust hätte ich auf jeden Fall. Ich muss nur schauen, dass ich meine Schicht tauschen kann." Ich verzog das Gesicht.
"Ich hoffe." Er grinste und aß das letzte Stück seines Burgers.
"So und nun bringe ich dich wirklich nach Hause." Antoine stand auf und ich tat es ihm gleich.

Als wir vor unserem Restaurant, meinem Zu Hause, ankamen, blieb Antoine stehen und drehte sich zu mir. Seine Hände vergrub er in seinen Hosentaschen.

"Nun da wären wir." Er sah zu mir und ich holte meinen Schlüssel aus meiner Handtasche.
"Ja. Also danke, für den schönen Abend und, dass du mich nach Hause gebracht hast." Ich ging auf ihn zu, streckte mich und gab ihm einen Kuss. Auf die Wange.
"Gerne." Wir sahen uns tief in die Augen und es fühlte sich komisch an. Da gab es so einen Moment... Seine Augen funkelnden im Mondlicht.
"Elena...ich..."
"Ja?" Ich konnte mich nicht von seinen Augen losreißen.
"Ich...ich wünsche dir eine gute Nacht."
Er wendete den Blick ab und ich war aus irgendeinem Grund...enttäuscht. Oder erleichtert. Ich konnte wieder Atmen. So fühlte es sich zumindest an.

Langsam ging ich zur Tür und schloss sie auf.

"Das wünsche ich dir auch, Antoine." Er nickte und drehte sich um. Ich sah ihm nach und er drehte sich einmal kurz um, grinste und verschwand in der Nacht, während ich ins Haus ging.

Zwanzig Minuten später lag ich meinem Bett und sah an die Decke. Gedanken kreisten in meinem Kopf Kreise und ich konnte sie kaum ordnen. Erst das Essen mit Simon und dann dieser Moment mit Antoine.

Simon brachte mich durcheinander. Er war so unnahbar und ich konnte überhaupt nicht deuten, was in ihm vor ging. Ich sollte ihn mir eh aus dem Kopf schlagen, schließlich werde ich ihn nicht wiedersehen.

Und Antoine.... wir sind Freunde. Nur Freunde. Oder?
Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

Die nächsten Tage verliefen normal. Arbeiten, Schwitzen, Arbeiten.
Die Abende verbrachte ich mit Zeichnen und Fernsehn. Antoine hatte sich seit dem Abend nicht bei mir gemeldet, aber das war soweit normal. Oft hörten wir mehrere Tage nicht voneinander, weil jeder viel zu tun hatte.
Carla hatte mich versucht auszuquetschen, aber ich tat so, als wäre nichts passiert und sie glaubte mir. In gewisser Weise war auch nichts passiert. Diesen einen Moment den es da gab, den hatte wohl nur ich gespürt. Ansonsten, so war mir klar, hätte Antoine sich bei mir gemeldet. Definitiv.
Und Nico? Tja, der schwebte auf seiner Maria-Wolke umher. Unser Vater wollte sie auch endlich mal kennenlernen, also ging ich davon aus, dass sie bald zu Besuch kam. Hoffentlich dieses Mal ohne ihren arroganten Cousin.

Am Vormittag hatte Antoines Mutter Clarisse angerufen und einen Tisch für drei reserviert. Ich fragte mich zwar, wieso ihr Sohn ihr nicht Bescheid gab, dass ich das schon wusste, aber dachte mir dabei nichts weiter. Ich musste leider Arbeiten. Daher kein Essen zu viert. Ich wollte die Gelegenheit auf jeden Fall nutzen und auf meine Gefühle und seine Reaktion zu achten, wenn ich ihn traf. Soweit der Plan.
Clarisse sagte, dass sie so gegen 20 Uhr kamen.

Das Restaurant war um diese Zeit ganz gut gefüllt. Wir arbeiteten zu Dritt als Kellner. Mein Vater, Paula und ich. Paula war in den Dreißigern, hatte einen Sohn, der acht Jahre alt war, und war vom Aussehen eine typische Spanierin. Sie arbeitete nur halbe Tage und ich kam sehr gut mit ihr zurecht. Sie war mein Kummerkasten.

Sie balancierte gerade Teller zu zwei Tischen, während ich Getränke hinter der Theke abfüllte, als Clarisse, Theo und Antoine durch die Tür traten. Papa begrüßte sie sofort und zeigte ihnen ihren Tisch. Dieser befand sich links von der Theke und Antoine setzte sich mit dem Rücken zu mir hin. Alle drei hatten mich bisher noch nicht entdeckt. Irgendwie war ich nervös.

Erst als ich zu ihrem Tisch ging, sprang Theo auf: "Elena! Wie geht es dir?" Er umarmte mich.
"Gut und selbst? Es ist schön, dass ihr da seid! Du bist ja schon wieder eine großes Stück gewachsen!" Ich sah ihn mir genau an. Groß und schlank stand er schüchtern vor mir. Man sah, dass sein älterer Bruder sein Vorbild war, da seine Haare genauso gestylt waren und er den Klamottenstil übernommen hatte. Echt süß.
"Ja, ich hab das Gefühl, dass er nicht mehr aufhört zu wachsen! Hey Süße, schön, dich wiederzusehen." Clarisse kam auf mich zu und gab mir Küsschen auf die Wange. Vollkommen normal. In Frankreich.

Sie kleidete sich sehr schlicht aber elegant und trug ihre blonden Haare als Bob. Wenn man ihr in die Augen sah, konnte man die Wärme einer liebenden Mutter spüren.
Auch ich begrüßte sie herzlich.
"Er überragt jetzt fast seinen Bruder," fuhr sie fort. In dem Augenblick stand Antoine auf und wir sahen uns in die Augen.

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