21. Kapitel

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Nachdem ich von der Toilette kam und den Gang wieder nach draußen ging, hielt mich plötzlich jemand am Arm fest. Ich drehte mich verwirrt um und sah Simon an.
"Aua, was willst du?" Er ließ mich los und ich verschränkte meine Arme vor der Brust.
"Elena, es tut mir leid, das was ich getan habe, war falsch und dumm."
"Oh, das ist aber nett, dass du dich nach mehr als zwei Wochen endlich entschuldigst," sagte ich genervt.
"Es war...ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich...du bist mir wichtig."
"Du wusstest nicht, was du machen solltest? Dein Ernst? Vielleicht an dem Abend ein Anruf mit einer Entschuldigung oder eine SMS. Das wäre ein Anfang gewesen, aber nun bist du zu spät."
"Das habe ich gesehen," sagte er eingeschnappt. Er sah mich böse an und ließ mich alleine und verdattert stehen. Was sollte das bitte?

Als ich wieder bei den Anderen ankam, sah ich kurz hinüber zu Simon. Dieser lehnte in seinem Sitz und eine der Blondinen streichelte lasziv seinen Arm und dann sein Bein. Es sah aus als wären wir im Stripclub. Auch seine Kumpels, die in der Runde saßen, hatten jeweils eine oder zwei Begleitungen. Er war also in bester Gesellschaft.
Ich konnte es nicht fassen, dass er der Meinung war, dass ich mich wegen Antoine rechtfertigen müsste. Schließlich war er derjenige, der mich bedrängte und dann nichts dazu gesagt hatte.
"Elena?" Ich hörte meinen Namen. Und wieder: "Elena? Alles klar?" Antoine beugte sich zu mir.
"Ja...ja, natürlich."
"Wirklich? Du bist so nachdenklich," hakte er nach.
"Ich fragte mich nur gerade, was ich ohne dich machen soll," log ich.
"Es ist nicht für lange. Ich hoffe es klappt, dass ihr alle nach Lyon kommen könnt. Das wäre der absolute Wahnsinn. Dann muss ich nur noch gut spielen." Man sah ihm an, wie stolz er war.
Seine Antoine-Grübchen bildeten sich immer wieder und verschwanden auch nicht so schnell. Das sah richtig süß aus.
"Das wirst du. Du bist gut." Ich lächelte ihn an. Seine Augen fesselten mich. Er legte seinen Arm um mich und ich schmiegte mich an ihn.
"Boah, immer diese verliebten Pärchen," sagte Carla mit Augen verdrehen und lachte, da sie und Logan Händchen haltend da saßen.
Sie waren echt ein sehr hübsches Paar und passten gut zusammen.
Ich nahm einen Schluck von meinem Getränk und schon wieder schweifte mein Blick rüber zu Simon. Ich konnte gar nicht anders, da er seinen Platz genau gegenüber von mir hatte. Es nervte mich schon selber. Er saß da und unsere Blicke trafen sich kurz, aber ich guckte schnell weg.
Seine Augen waren noch immer auf mich gerichtet, das spürte ich.
"Wenn der nicht bald seine Augen von dir ablässt, raste ich aus," hörte ich Antoine zischen.
"Schau doch nicht auf ihn. Er interessiert doch niemanden." Beruhigend drückte ich seine Hand.
"Doch, mich."
"Anto, hör auf. Der kann nix. Lass ihn da sitzen und kümmer dich nicht um ihn," versuchte Logan ihn zu beschwichtigen und lehnte sich zu ihm.
"Wir können auch wo anders hingehen, wenn er dich stört," schlug ich vor.
"Nein. Er nervt mich, aber ich lasse mich nicht von ihm vertreiben." Böse schaute er rüber zu Simon, der sich nun wieder ganz seiner Begleitung widmete.
Eigentlich wollte ich nicht auf Pärchen machen, aber ich hatte das Gefühl, dass Antoine sich dadurch beruhigte.
Wir quatschten über Alles und Jeden und der Alkohol floss. Ich ließ es ruhig angehen, während Carla schon zwei Cocktails weiter war und schon sehr angetrunken wirkte. Auch Logan trank immer schön mit. Antoine wurde zwar auch immer lockerer, aber ich merkte, dass er sich an mich hielt.
"Wenn du gehen möchtest, sag Bescheid," flüsterte er mir ins Ohr.
"Klar," nickte ich. "Aber noch nicht. Außer du bist müde." Er hatte bestimmt Jetlag und war kaputt vom Trainingslager.
"Ich möchte dann gehen, wenn du gehst. Noch bin ich fit."
"Ach, du möchtest dann gehen, wenn ich gehe?" Ich musste lachen.
"Nur, weil ich dich nach Hause bringen will." Er schüttelte den Kopf und hob die Hände abwehrend nach oben, dabei entwischte ihm ein kleiner Schmunzler.
Ich spitzte meinen Mund und nickte, dabei musste ich laut lachen. Antoine stand auf und sagte: "Ich komme gleich wieder." Toilette, dachte ich und nickte. Logan erhob sich auch und ging mit.
Langsam ließ ich meinen Blick zu Simon wandern, der jedoch verschwunden war. Seine Blondine saß jedoch noch da und schlürfte ihren Drink.
"Ihr seid echt süß zusammen. Endlich hat es geklappt mit euch." Carla rutschte zu mir. "Dieser Simon ist echt ein Arsch. Zum Glück hast du den abblitzen lassen. Sag mal, wenn wir dann nach Lyon fliegen, könnten wir uns ja kurz mit Theo und Antoine's Mutter treffen. Wenn wir sowieso schon da sind, oder?"
"Klar, das hört sich gut an, ich hatte das letzte Mal so wenig Zeit für die Beiden." Ich musste grinsen, wenn ich an Theo, Antoine's Bruder, dachte. Er war wie eine kleine Ausgabe von Antoine.
Meine Gedanken endeten abrupt, da ich ein Kreischen und Schreie hörte. Carla und ich drehten uns sofort um und sahen erst nicht viel.
"Was ist da los?"
Erst als ich Simon entdeckte, der gerade auf einen anderen jungen Mann los ging und ihn anpöbelte, stockte mein Herz. Antoine, dachte ich und stürmte los.
Als ich zu dem Geschehen kam, wurden die Beiden schon getrennt. Logan hielt Antoine fest, dessen Blick auf Simon gerichtet war. Dieser wurde von zwei Unbekannten zurückgehalten. Ich hörte nur noch, wie Simon laut sagte: "Mir kann keine Widerstehen. Auch sie nicht." Hatte er das wirklich gerade gesagt? Ich musste mich verhört haben. Ich ging zu ihm und ich wusste auch nicht, was in mich fuhr, aber ich gab ihm eine saftige Ohrfeige. Meine ganze Hand kribbelte danach und ich glaubte im ersten Augenblick, dass ich mir einige Finger gebrochen hatte, so sehr, wie ich zuschlug. Simon hielt sich seine Wange und war komplett überrascht worden. Er sah mich verwirrt an, aber da war auch noch etwas Anderes, was in seinem Blick lag. Ich konnte auf Anhieb nicht sagen, was es war, aber dieser Blick wurde intensiver. Es war Scham.
Carla kam zu mir und brachte mich aus der Bar. Simons Augen folgten mir und mein Herz pochte so laut, dass ich dachte, jeder konnte es hören. Logan und Antoine kamen uns hinterher.
Als wir draußen auf der Straße standen, sprudelte es aus Carla heraus: "Was war das denn? Boah, krass! War das...Wahnsinn! Ich...Wahnsinn! Elena, deine Ohrfeige, wow! Das hat er verdient! Jungs, was war da los?"
Logan und Antoine schwiegen.
"Jungs? Es wäre super, wenn ihr uns den Anfang erzählen würdet," sagte ich mit verschränkten Armen. Meine Hand zwiebelte noch immer.
"Nun ja, ich kam von der Toilette und Simon machte mich dumm von der Seite an, da sind mir die Sicherungen durchgebrannt." Antoine konnte mich wohl nicht ansehen, er starrte auf den Boden. Ich glaubte, er schämte sich dafür, dass er durchgedreht war.
"Was hat er denn gesagt?", fragte Carla neugierig.
"Nicht so wichtig." Er wollte gehen, doch ich lief ihm hinterher.
"Was hat er gesagt, Anto?" Ich wollte es nun auch wissen.
"Ich kann dir das nicht sagen."
"Wenn du es mir nicht sagst, dann gehe ich wieder rein und frage ihn selbst." Er überlegte kurz.
"Ok, ok, er fragte mich, ob es geil wäre mit dir zu schlafen. Naja, er sagte es nicht ganz so nett." Er sah mir leidvoll in die Augen.
Ich drehte mich abrupt um und lief wieder zurück in die Bar. Wut durchflutete meinen Körper. Mich konnte keiner aufhalten.
Ich hörte Carla hinter mir meinen Namen schreien. Auch Antoine's und Logan's Stimmen konnte ich erahnen. Meine Ohren rauschten durch das Adrenalin, was mein Körper aufbaute. Ich lief schnurstracks zu Simons Tisch und konnte ihn schon da sitzen sehen, lachend. Nicht mehr lange. Als er mich kommen sah, setzte er einen überraschten Gesichtsausdruck auf. "Elena!", stieß er erschrocken und verwundert aus. Ich stoppte, als ich am Tisch ankam, nahm sein Getränk, welches dort stand und kippte es ihm ins Gesicht.
Ich sagte nichts, sondern drehte mich schnell um, doch er hielt mich am Arm fest. "Elena!"
"Du tust mir leid, Simon."
"Elena, ich..."
"Spar's dir! Du bist so ein erbärmliches Arschloch!" Ich riss mich los und ging an Carla, Logan und Antoine vorbei wieder nach draußen auf die Straße. Ich atmete schnell und unruhig. Mein Puls hatte seine Höchstwert erreicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Luft bekam. Schwer atmend, blieb ich stehen. Meine Hände stützte ich auf meinen Knien ab.
"Elena, was war das denn?" Carla kam überrascht zu mir und umarmte mich. "Das war großartig! Wie im Film!"
"Geht's dir gut?", fragte Antoine besorgt.
"Alles klar?" Logan stand nun auch bei mir.
"Mir geht es fantastisch. Aber ich möchte jetzt nach Hause." Noch immer atmete ich unruhig.
"Ja, das ist wohl besser so." Antoine nahm meine Hand. "Ich bringe dich."
"Okay, Süße, danke für diesen spektakulären Abend!" Carla gab mir ein Küsschen auf die Wange und auch Logan verabschiedete mich so. Dann nahmen sie sich ein Taxi.
Antoine und ich liefen los.
"Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass es eskaliert." Antoine drückte meine Hand.
"Du kannst nichts dafür. Allein Simon, dieses Arschloch." Ich kochte immer noch.
"Jetzt ist alles vorbei. Ich bringe dich nach Hause und dann kannst du erstmal alles verarbeiten." Er war echt süß.
Lange bis zu mir nach Hause brauchten wir nicht. Das Restaurant war noch offen. Die letzten Gäste ließen den Abend ausklingen.
"Gute Nacht, und ärgere dich nicht." Antoine umarmte mich. Seine Wärme zu spüren, ließ mich ruhiger wirken.
"Danke, dir auch."
Ich trat zur Tür ein, drehte mich nochmal kurz zu ihm um und lächelte ihn an. Auch er lächelte zurück und ging dann die Straße herunter.

"Schon so früh wieder da, Schatz?" Mein Vater wunderte sich über mein Kommen.
"Ja." Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, welche bestimmt so zwanzig Minuten dauerte. Wirklich alles. Ich zitterte am ganzen Körper. 
Papa schnaufte kurz durch und sagte dann: "Und was machst du dann hier?"
"Wie meinst du das?" Meine Stirn runzelte sich.
"Antoine verteidigt dich und du sitzt hier rum bei deinem alten Vater, anstatt bei ihm zu sein. Irgendwas läuft da schief. Meinst du nicht auch?" Er grinste mich an und auch mir dämmerte es langsam, was er meinte.
"Du hast Recht." Ich stand von meinem Barhocker auf und rannte los.

Die Klingel läutete und wartend stand ich vor der Tür. Ich war richtig aus der Puste vom Rennen.
Plötzlich ging sie auf und ein Antoine mit verwuschelten Haaren stand im Türrahmen.
"Was machst du denn hier?" Überrascht ließ er mich rein. Doch ich wollte nicht mehr antworten, beziehungsweise sprechen. Ich sprang förmlich auf ihn zu und küsste ihn. Leidenschaftlich. Mein Herz machte einen Satz und mein Verstand schaltete sich aus.

One Way. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt