36. Kapitel

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Das Krankenhaus schien sehr renommiert zu sein. An den Wänden in der Eingangshalle hingen jede Menge Auszeichnung von Ärzten, die dort arbeiteten und es sah alles sehr freundlich aus, obwohl ich fand, dass ein Krankenhaus nie freundlich oder einladend aussah.
Am Empfang erkundigte ich mich nach Theo und lief schnurstracks zur Intensivstation. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Haut und ich hatte Angst. Scheiße, hatte ich Angst.
Wild sah ich mich um, als ich plötzlich Antoine auf einem Stuhl sitzen sah. In sich eingesunken. Seine Hände umfassten seinen Kopf. Und seine Ellenbogen stützten sich auf seinen Oberschenkeln ab.
"Antoine!", rief ich und er hob den Kopf in meine Richtung. Seine Augen waren rot unterlaufen. Er sprang auf und ich lief auf ihn zu. Wir lagen uns in den Armen. Fest. Seine Wärme und seinen Geruch nahm ich in mir auf, als wäre es eine Droge.
"Es ist... Ich kann es nicht glauben, dass du hier bist." Er legte seinen Kopf in meinen Nacken und atmete tief ein und aus.
"Das ist doch selbstverständlich."
"Danke."
Wir standen einfach da. Umarmten uns und ich war froh dort zu sein, bei ihm.
"Elena! Du bist hier!", hörte ich eine leise gebrochene Frauenstimme.
Ich löste die Umarmung und drehte mich um.
"Clarisse!" Ich stürmte auf sie zu und wir nahmen uns in die Arme.
"Schatz, es ist toll, dass du hier bist."
"Das ist doch selbstverständlich. Los, erzählt mir, was passiert ist. Wie geht es ihm?"
Wir setzten uns und sie hielt meine Hände fest in ihren. Ihr Haut sah grau und faltig aus. Mehr als sonst. Man sah ihr die Strapazen der letzten Stunden an. Antoine stand an der Wand gelehnt gegenüber von uns. Er atmete tief durch, als Clarisse anfing zu sprechen. Ihr Stimme hörte sich zittrig an.
"Theo war gerade auf dem Weg nach Hause, als ein Lastwagen von der Straße abkam..." Sie stockte und ihr flossen Tränen die Wange herunter.
"Er fuhr frontal gegen Theo's Auto," beendete Antoine die Erklärung seiner Mutter. "Er wird gerade Notoperiert. Wir wissen noch nichts genaueres." Er wischte mit den Fingern über seine Augen. So fertig hatte ich ihn noch nie gesehen.
"Es tut mir so leid. Ich werde mal versuchen, ob ich Informationen bekomme." Ich stand auf, ergriffen und bestürzt.
"Das habe ich schon versucht, aber Keiner kann uns etwas sagen," hielt er mich am Arm fest. Seine Berührung geht mir unter die Haut. Ich sah ihm in die Augen und die Welt stand eine kurze Zeit lang stehen, bis er mich losließ.
"Dann hole ich uns Kaffee." Ich wollte weg. Einen Moment meine Gedanken ordnen.
"Okay. Der nächste Automat ist unten in der Halle. Soll ich mitkommen?", fragte Antoine und ich schüttelte den Kopf.
Ich lief den Korridor entlang. Meine Gefühle drehten durch.
Als ich wieder zurück kam, sah ich einen Arzt mit Antoine und Clarisse sprechen. Meine Schritte wurden schneller und kurz bevor ich zu ihnen stieß, wurde ich langsamer. Denn Antoine nahm Clarisse in den Arm, während sie anfing zu weinen. Ich erschrak sofort und hätte den Kaffee beinahe losgelassen. Mein Kopf war leer. Unglaublicher Schmerz durchzuckte mich, doch dann hörte ich die Worte: "Sie können gleich zu ihm. Er wird gleich hierher verlegt."
Mir fielen ganze Brocken vom Herzen. Erleichterung.
Der Arzt ging an mir vorbei und lächelte mich an.
"Hey," sagte Antoine und kam auf mich zu. "Die OP ist gut verlaufen. Der Arzt sagte, wir müssen zwar die Nacht noch abwarten, aber er ist stabil." Ich schlang freudig die Arme um seinen Hals. "Das sind sehr gute Nachrichten!"
Ihm liefen Tränen über die Wangen.
"Elena, Antoine? Wir dürfen jetzt zu ihm. Kommt ihr?" Clarisse Stimme hallte in meinem Kopf.
Antoine löste sich von mir, nahm meine Hand und drückte sie sanft, dann ließ er los und folgte seiner Mutter. Meiner Meinung nach sollten die Beiden als Erstes zu Theo, aber Clarisse winkte mich zu ihnen.
"Komm, Süße," sagte sie sanft und wir gingen ins Krankenzimmer.

Nach mehreren Stunden bemerkte ich, wie Antoine und Clarisse von Müdigkeit gezeichnet waren. Der Arzt meinte, dass wir jetzt sowieso nicht viel machen konnten. Daher fuhren wir zu Clarisse nach Hause. Die Beiden wollten zwar nicht, aber erkannten dann doch, dass sie nichts ausrichten konnten.
Das Haus, in dem Antoine aufgewachsen war, lag sehr ländlich und war echt schön. Es war nicht sehr groß, aber vollkommen ausreichend.
"Du kannst in meinem Zimmer schlafen. Ich mache es noch schnell zurecht," sagte Antoine.
"Das Sofa wäre auch in Ordnung."
"Kommt gar nicht in Frage. Du bist Gast," wiegelte er ab und verschwand in seinem Zimmer, während ich mich aufs Sofa setzte. Clarisse verabschiedete sich in ihr Schlafzimmer und gab mir einen Kuss auf die Wange. "Nimm dir alles, was du brauchst, okay?" Ich nickte.
Nach einer Weile kam Antoine ins Wohnzimmer und fragte, ob ich etwas trinken möchte.
"Gerne. Ein Wasser, bitte," antwortete ich, stand auf und ging hinter ihm in die Küche.
"Wirklich nichts Anderes?"
Kopf schüttelnd lehnte ich an dem Küchentisch.
Er holte ein Glas heraus, füllte es mit Mineralwasser und gab es mir. Dabei berührten sich kurz unsere Hände. Verlegen hielten wir Abstand.
"Ich bin noch immer überwältigt, dass du so schnell hergekommen bist. Nach allem, was passiert ist." Eine kurze unsichere Pause entstand. "Ich werde dir das Geld für das Flugticket geben."
"Du spinnst. Und du solltest wissen, dass wir immer noch Freunde sind. Freunde tun das füreinander," schüttelte ich den Kopf und fuhr fort: "Ich bin nur froh, dass alles so gut ausgegangen ist. Scheiße, hatte ich Angst..." Plötzlich überkamen mich meine Gefühle und Tränen stiegen mir in die Augen. Antoine kam näher und umarmte mich. Meine Tränen durchnässten sein Hemd an der linken Schulter. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und strich mir mit seinen Daumen die Tränen weg.
Meine Gefühle spielten verrückt. Ich konnte nicht denken. Wir kamen uns näher und näher und dann berührten sich unsere Lippen. Es fühlte sich an, als würde mein Herz warm laufen. Es pochte dreimal so schnell, wie sonst. Ich krallte meine Finger in den Saum seines Hemdes und zog ihn mehr an mich.
Fast außer Atem lösten wir unsere Lippen und wir sahen uns tief in die Augen, während sich unsere Stirn berührten. Wir sprachen kein Wort. Leidenschaft überkam uns und wir küssten uns intensiver. Wir landeten bei Antoine im Zimmer im Bett. Wild knutschend. Langsam zog ich sein Hemd aus und berührte seinen nackten Oberkörper. Er küsste mich den Hals bergab und ich entledigte mich meiner Klamotten. Der Sex war unglaublich. Wir waren wie in einer anderen Welt. Das Umfeld blendeten wir komplett aus und der Orgasmus beförderte mich in den Himmel. Sein muskulöser Arm lag um meine Hüfte und ich schlief auf seiner Schulter ein.
Am nächsten Morgen wachte ich allein im Bett auf. Verwirrt zog ich mir etwas drüber und verließ das Zimmer. In der Küche stand Antoine mit Clarisse und trank Kaffee.
"Guten Morgen," kam ich verschlafen in die Küche.
Die Beiden begrüßten mich und Clarisse bot mir auch einen Kaffee an.
"Ja, danke. Das ist nett."
"Schätzchen, wann musst du wieder in Spanien sein?", fragte sie.
"Darüber mache ich mir dann Gedanken, wenn Theo über den Berg ist," antwortete ich und sah zu Antoine herüber, der gedankenverloren im Raum stand. Er schaute mich nicht an.
"Wir wollten gleich losfahren. Ist das okay?" Clarisse hatte schon viel mehr Farbe im Gesicht als gestern. Ich nickte, stellte meine Tasse ab und verschwand ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Dieser kam mir Sekunden später hinter her.
"Es tut mir leid, wegen gestern. Ich hätte das nicht tun sollen. Ich habe dich überrannt. Das war alles ein Fehler."
Ich starrte ihn an. Dieser Satz saß. 'Das war alles ein Fehler.' Verletzt antwortete ich: "Vergessen wir's!" Dann sammelte ich meine Sachen zusammen und ließ ihn allein stehen.

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