Nie wieder

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Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte mir denken können, dass es eines Tages so kommen würde. Es war unvermeidlich. Er war schließlich er. James Sirius Potter, Playboy der Schule, Frauenheld und mein ehemaliger Freund. Nie hätte ich mir auch nur träumen lassen, ihn eines Tages so zu nennen. Doch nun war es so. Und das hatte auch einen ganz bestimmten Grund. Er war es nämlich, den alle anstarrten. Doch er war nicht alleine, nein, diese Blondine, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, stand bei ihm. Oder sollte ich eher sagen, sie waren quasi eine Person? Denn sie unterhielten sich nicht einfach, was ja schon schlimm genug gewesen wäre. Ich hatte das Bild noch glasklar vor Augen. Mitten auf dem Gang, eng umschlungen, knutsched. Mein Albtraum wurde zur Realität. Und ich dachte wirklich, er hatte sich geändert. Ich war fest davon überzeugt, dass er für mich da war. Mich liebte, wie ich ihn geliebt hatte, und es bis jetzt noch tat. Doch da hatte ich mich getäuscht. Ich war so naiv gewesen, so manipulierbar.

Aber was wollte er damit bezwecken? War ich etwa auch eine von seinen vielen Eroberungen, mit denen er vor seinen Freunden angeben konnte? Ein Spielzeug, welches er nach Belieben aus seiner riesigen Kiste auswählen konnte? Oder war es eine kindische Racheaktion, die nach hinten losgegangen war? War ich insgeheim immer noch die alte Feindin, die er nur um den Finger gewickelt hatte?
Ich vergrub den Kopf in den Händen und ließ mich auf mein Bett fallen. Mit dem Gesicht ins Kissen gedrückt grübelte ich vor mich hin. Mein Kopf war leer. Kein einziges Gefühl machte sich in mir breit. Ich dachte immer, es wäre so wie in diesen kitschigen Liebesromanen, die meine Mutter immer verschlang. Tränen. Wut. Schmerz. Doch nichts davon spukte in mir herum. Da war nur noch diese unbeschreibliche Leere, die jegliche Art von Emotionen zu verschlingen schien.

Wie lange genau ich da so lag und mir Fragen stellte? Ich wusste es nicht. Doch erst ein heftiges Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und ich hob leicht den Kopf.
„Was?", fragte ich mit kratziger Stimme, selbst erstaunt, wie eisern sie klang.
„Kathy? Gott sei Dank, du bist hier. Machst du die Tür auf?", redete die Stimme meiner besten Freundin auf mich ein.
Ich verstand jedes Wort klar und deutlich, doch kein einziges kam richtig bei mir an.
„Kathy?", fragte sie zum wiederholten mal, doch diesmal energischer.
„Tür aufmachen", fasste ich für mich kurz zusammen, schwang mühsam die Beine über die Bettkante und setzte einen Fuß vor den anderen.
Immer weiter kam ich meinem Ziel, doch es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Schlüssel zitternd im Schloss herumdrehte und die Tür langsam aufschob.
Vor mir stand meine beste Freundin, jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und ihre Augen schauten besorgt in die Meinen.
„Hey Rose", brachte ich schief heraus und zwang mich zu einem kraftlosen Lächeln.
„Kathy", wiederholte sie erneut meinen Namen wie ein beruhigendes Mantra und zog mich mit sich in den vertrauten Raum, der in diesem Augenblick aber doch so unendlich fremd wirkte.
Die Wände waren dunkel gestrichen und die langen Vorhänge der Betten, die mich schon mein ganzes Leben undenkbar nervten, hingen trostlos herab. Eine kleine Lampe warf Licht in den dunklen Raum, doch eine gemütliche Stimmung wurde dadurch keineswegs geschaffen. Eher im Gegenteil.

Lange Zeit hockten wir einfach nur auf meinem Bett und starrten auf den waldgrünen Teppich, der den hölzernen Boden bedeckte.
Doch dann räusperte meine beste Freundin sich und fing heiser an zu sprechen:
„Ich hab das von James gehört."
„Ja", mehr hatte ich dazu nicht zu sagen und ich merkte, wie sich ein Klos in meinem Hals bildete.
„Das kam...unerwartet", beendete sie unsicher, doch ich nickte nur gleichgültig mit dem Kopf, obwohl in meinem Inneren ein unbändiger Sturm tobte.
„Kathy...du tust zwar so, als würde es dir nichts ausmachen, aber ich sehe doch, wie es dir geht. Du musst deine Gefühle nicht in dich hineinfressen, schließlich hast du doch mich. Ich bin deine beste Freundin, also, wenn du darüber reden willst...", sie ließ den Satz unbeendet, denn in dem Moment fiel meine eintönige Fassade in sich zusammen.
Mein Körper erschlaffte und ich bettete meine Stirn auf den nackten Knien. Der Knoten in meinem Inneren platzte und so viele unterschiedliche Gefühle stürzten gleichzeitig auf mich ein. Erst rollte mir nur eine salzige Träne über die Wange, doch mit der Zeit wurden es immer mehr. Mein Körper war von Schluchzern gepackt und bebte, bis sich zwei zierliche Arme um mich schlangen und mich zu sich zogen. Es war Rose, wer sonst, doch ich war froh, dass sie bei mir war. Immer wieder fuhr sie mir beruhigend über den Rücken, während ich ihr Shirt mit Tränen durchnässte.

Nach einigen Minuten, oder waren es Stunden, löste ich mich langsam wieder von ihr und wischte mir eine letzte Träne aus den Augen.
„Sorry. Aber wenigstens trage ich keine Schminke, sonst wäre dein T-Shirt jetzt hinüber", meinte ich bei dem Anblick des Oberteils, doch Rose winkte ab.
„Scheiß auf das Shirt, wir haben jetzt ein ganz anderes Problem."
„Wenn du James meinst, sieh es ein. Er hat nur mit mir gespielt, es ist vorbei. Ich bin schon fast über ihn hinweg."
Das war eine Lüge. Und das wussten wir beide nur zu gut. Meine geröteten Augen waren Beweis genug, um mit Sicherheit zu sagen, dass es nicht stimmte.
Doch nicht nur das. In meinem Inneren schmerzte alles und die Stelle, an der eigentlich mein Herz hätte sein müssen, hatte sie eine eisige Kälte ausgebreitet.

Noch lange hockten wir beisammen auf meinem Bett, Arm in Arm, und schwiegen. Meine beste Freundin wusste, dass ich die Stille brauchte. Niemand sprach ein Wort, und ich war Rose so dankbar wie noch nie in meinem Leben. Die Ausgangssperre hatte schon längst begonnen, als ich sie schließlich wegschickte, allerdings nicht ohne Protest.

Nun war ich wieder alleine, doch das störte mich nicht. Der Tag hatte mich an meinen Tiefpunkt gebracht. Ich war nur noch müde, doch zeitgleich auch sicher, dass ich diese Nacht kein Auge zumachen konnte.
Wo meine Zimmerpartner waren, interessierte mich ebenfalls nicht. Wahrscheinlich veranstalteten sie mal wieder eine ihrer komischen Pyjamapartys, bei denen sie sich gegenseitig die Nägel lackierten, selber Badebomben herstellten oder ‚Mädchengespräche' führten, wie sie es nannten. Eigentlich quatschten sie nur darüber, welche Jungs sie heiß fanden, welche sie heiraten wollten und wie wohl ihre Kinder aussehen würden. Schlussendlich hatten sich immer alle um James gestritten, außer Paula, die auf einen Buchautor abfuhr. Schon alleine bei James Namen schossen mir tausend Bilder durch den Kopf. Wie wir uns all die Jahre gezofft hatten, wie wir den Ball besuchten, wie wir uns immer näher kamen, wie wir auf dem Astronomieturm hockten und in die Sterne starrten, sein freudiges Lächeln, ...

Abermals verstärkte sich der Schmerz in meinem Inneren und ich schluckte die aufkommenden Tränen herunter. Ich würde jetzt nicht schon wieder weinen, er war es nicht wert. Wie tausend Messerstiche wurde mir immer weiter bewusst, dass er mich hereingelegt hatte. Dass er mich nie geliebt hatte. Und ich dumme Kuh war auf ihn hereingefallen. In diesem Moment schwor ich mir, mein Herz nie wieder zu verschenken. Falls ich es überhaupt schaffen könnte, es von dem kalten Steinboden zu kratzen und wieder in meine Brust zu setzten. Denn James hatte es mir mit voller Wucht hinausgerissen, war darauf herumgetrampelt, bis es nur noch eine klebrige rote Masse war. „Nie wieder", murmelt ich vor mich hin, ehe ich samt meiner Klamotten auf die weiche Matratze fiel.

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Zeitgleich lag James in seinem Bett im Gryffindorturm und grübelte vor sich hin, warum ihn alle so seltsam musterten. Dass sich sein ganzes Leben mir nichts dir nichts auf den Kopf gestellt hatte, konnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Doch morgen schon würde er erfahren, was geschehen war. Denn die Nachricht, dass James Sirius Potter wiederzuhaben war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Nur einer, er selbst nämlich, ahnten noch nichts von der Katastrophe, die sich da angebahnt hatte. Und das war sein Glück, sonst hätte er mit Sicherheit kein Auge zubekommen.


Zuallererst mal: es tut mir leid. Und zwar nicht nur, dass ich erst jetzt hochlade. Am liebsten hätte ich kurzerhand die Handlung geändert, aber die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.
Schönen Tag euch noch!
AmyCaty

Das Pferdemädchen (Harry Potter, Next Generation ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt