Eine ungeplante Erfrischung

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„James!"
Die Worte waren meinem Mund entflohen, bevor ich es verhindern konnte.
Die Blicke der neugierigen Schüler zuckte von der Tür, zu mir und wieder zurück, leises Gemurmel brach aus.
„Das ist etwas aus dem Ruder gelaufen", murmelte Mister Weasley abgelenkt und sein Freund wollte gerade ebenfalls aus dem Raum stürzen, da hielt ich ihn zurück.
„Ich ...", doch ich hatte keine Ahnung, was ich eigentlich sagen wollte.
Was ich tun wollte. Es war keine bewusste Tat, mehr ein Reflex, von dem ich nicht wusste, was er zu bedeuten hatte.
„Schon gut. Wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn du ihm folgst", seufzte Mister Potter und wirkte plötzlich unendlich erschöpft.
„Du weißt bestimmt besser als jeder andere, wo er sich gerade aufhält", brachte er leise heraus und wandte sich wieder der Klasse zu, um einen genervten Blick in Richtung Miriam zu werfen.
Ich war mir nicht sicher, ob ich darüber lachen sollte, denn in meinem Hals hatte sich ein riesiger Klos gebildet.
Ja, ich hatte eine Idee, doch was, wenn ich falsch lag? Ihm etwas passieren würde?
Ich wusste selbst auch nicht, warum ich mir überhaupt Sorgen machte. Doch seine Worte hatten mich berührt. Sie hatten so ehrlich geklungen, so verletzt, als wäre das, was ich gesehen hatte, niemals passiert, und langsam zweifelte ich an mir selbst.
Doch dafür war jetzt keine Zeit.
Mister Potter drückte mir noch einmal zumutend die Schulter, ehe ich einmal tief durchatmete und dem wütenden Potter eilig folgte.

Weit und breit war kein Schüler zu sehen, verständlich, laut Stundenplan hatten alle derzeit Unterricht, doch mein Ziel war sowieso nicht in diesem riesigen Schloss.
Meine Füße trugen mich so schnell ich konnte aus dem Tor, direkt in Richtung See. Um genau zu sein zu dem Platz, an dem James und ich uns am Morgen nach der Party, bei der Rose und ich uns kolossal blamierten, getroffen hatten.
Das letzte Mal, als ich hier mit brummendem Kopf über die vom Tau durchnässte Wiese gewankt war, wollte ich nichts sehnlicher als meine Ruhe, eine kurze Pause von all dem, was ich normalerweise um mich hatte. Doch jetzt war es anders. Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf spukte, war, dass ich James finden müsste.

Ich sprintete los, wurde immer schneller und schneller. Die Bäume und Sträucher flogen an mir vorbei und Blätter peitschten mir ins Gesicht, doch all das beachtete ich nicht.
Das Stechen in meinen Lungen wurde immer stärker und mein Brustkorb senkte sich unregelmäßig auf und ab.

Außer Atem kam ich vor dem Feld aus Schilf an und meine Hoffnung stieg ins Unendliche. Langsam schob ich das Gewächs zur Seite und kämpfte mich leise durch das Gestrüpp.
Wie beim letzten Mal erblickte ich einen idyllischen Ort aus Steinen und Felsen, umgeben von verschiedenen Pflanzen und mit einem großartigen Ausblick auf den schwarzen See, und wie letztes Mal war ich nicht allein.

Mein Herz setzte vor Erleichterung einen Schlag aus und ich strich mir geistesgegenwärtig eine lose Strähne aus dem Gesicht.
Da hockte James, mit verstrubbelten, rabenschwarzem Haar, und einem Gesichtsausdruck, als wäre gerade erklärt worden, die Welt würde untergehen und es gäbe keine Möglichkeit, das zu verhindern.
Allein dieser Anblick entlockte mir ein kleines Lächeln und ich versuchte so ruhig es ging näher zu treten.
Sollte ich mich bemerkbar machen? Ich war mir nicht sicher. Aber nur, um hier herumzustehen und James dabei zu beobachten, wie er einen unschuldigen Stein nach dem anderen im eiskalten Wasser versenkte, war ich ja auch nicht bekommen.

„Ähm ...darf ich mich setzten?", krächzte ich also leise und überlegte kurz, ob er mich überhaupt gehört hatte.
Mein Mund war urplötzlich staubtrocken, als hätte ich für mehrere Tage das Trinken vergessen, und musste mehrmals schlucken.
James Kopf war derzeit in die Höhe geschnellt, doch er drehte sich nicht zu mir herum.
Stattdessen nickte er nur leicht, und ich ließ mich mit einiger Entfernung zu ihm auf dem kalten Untergrund nieder.

Wieder herrschte Stille, nur das Plätschern des aufgewühlten Wassers und das Rauschen des Windes, der die Sträucher sanft hin und her wiegte war zu hören. Es entspannte mich und ich konnte nicht anders, als kurz, nur für eine kleine Sekunde, meine Augen zu schließen und meine Nase in die Luft zu recken. Auf einmal war ich ganz ruhig. Ich blendete alles aus. Das Drama um James. Der Streit mit Miriam. Unser Streich, der die ganze Schule verwandelt hatte und ... Moment mal. Meine Hände fuhren blitzschnell zu meinem Kopf und griffen direkt in eine dicke, und vor allem lange Mähne. Mein Blick fuhr zu James herum und auch er sah aus wie immer. Ganz normal. Ein seliges Lächeln schlich sich auf meine Lippen, obwohl ich in meinem Inneren einen Freudentanz aufführte. Es hatte funktioniert. Mal wieder. Es war uns gelungen, die ganze Schule etwas ...interessanter zu machen und gleichzeitig keinen zu großen Schaden anzurichten.

„Ist alles okay?", fragte James vorsichtig, und da rief ich mir wieder in Erinnerung, warum ich eigentlich hier war.
„Klar", meinte ich kurz und ärgerte mich gleichzeitig, dass ich kein Haargummi dabei hatte.
„Und bei dir?", wurde ich nun wieder Ernst und er wandte den Blick wieder auf Wasser.
„Wie man es nimmt", meinte er dann und zuckte möglichst lässig mit den Schultern.
Okay, das war definitiv eine dumme Frage. Und auch die falsche Taktik, um ein Gespräch zu beginnen, dass nicht komplett angespannt verlaufen würde.
„Wie hast du mich eigentlich gefunden?", wechselte James glücklicherweise das Thema und riss mich ruckartig aus meinen Gedanken.
„Ach, das war nicht schwer. Vielleicht erinnerst du dich noch, nach der Party, auf der du Rose und ich betrunken erlebt hattest, haben wir uns hier getroffen und du meintest, du kommst hier oft her. Eigentlich war es nur eine Vermutung, aber sie hat sich ja schlussendlich bewahrheitet", erörterte ich ihm und baumelte mit den Beinen über dem dunklen, fast schwarzen Wasser.
„Stimmt", erinnerte er sich und ein kleines Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
„Ich habe gehört, wir sind jetzt Konkurrenten", fuhr er fort und ich zog verwirrt meine Augenbrauen zusammen.
„Hä?", gab ich eher weniger schlau zurück und er lachte leise auf.
„Na ja, bist du nicht neuer Jäger der Quidditchmannschaft?", hakte er nach und ich schnaufte empört auf.
„Hey, ich bin Treiber!", meinte ich gespielt böse und boxte ihm leicht gegen die Schulter.
„Ach so, stimmt ja. Und du schießt uns dann alle ab?"
„So sieht's aus", erklärte ich fachmännisch und rückte meine imaginäre Brille zurecht.
Wieder lachte er auf und ein warmes Gefühl erfüllte mich, als hätte ich gerade eine warme Tasse Kakao im tiefsten Winter serviert bekommen. Oder doch lieber Tee?

„Ob das Wasser wohl kalt ist?", fragte ich mich unvermittelt und James zog eine Braue hoch.
„Keine Ahnung, probier es halt aus", die Ironie in seiner Stimme war kaum zu überhören, doch ich folgte seinem Vorschlag trotzdem.
Ehe, dass er mich daran hindern konnte, war ich schon aus meinen Schuhen geschlüpft, hatte meine nun etwas lockere Hose hochgekrempelt und ließ mich langsam in das knietiefe Wasser sinken. Und ja, es war kalt, kälter, als es mir recht war. Aber nun war es auch zu spät.
„Bist du verrückt geworden?", echote der Potter aus und starrte mich mit vor Schock geweiteten Augen an.
„Nein. Bist du langweilig geworden?", gab ich genauso schlau zurück und ging etwas weiter in den See hinaus.
Doch auf einmal trat ich auf etwas Glitschiges, ich schrie auf und warf mich filmreif nach vorne. Zu dumm nur, dass sich vor mir nur weiter Wasser befand, und ich dementsprechend klitschnass wieder auftauchte.
„Hey, lach nicht!", wies ich James beleidigt zurecht und zog einen Flunsch.
Doch James kringelte sich weiterhin vor Lachen und hielt sich schmerzend den Bauch.
„Ich ...ich kann", doch ich würde nie erfahren, was er konnte, denn mein stiller Wunsch, James ebenfalls bis auf die Knochen durchnässt zu sehen, erfüllte sich, sogar ganz ohne mein Zutun. Immer noch lachend rollte er über den Abgrund und versank mit einem großen Platschen einige Meter entfernt.
Nun war es an mir, eine Lachtränen nach der anderen zu vergießen, und es wurde nur noch schlimmer, als ich seinen bedröppelten Blick sah.

„Tja, das hast du davon. Mich einfach auszulachen", empörte ich mich kichernd und wrang meine durchnässten Haare aus.
„Aber das sah so aus, als wärst du typisch Klischee auf einer Bananenschale ausgerutscht", verteidigte er sich und hob abwehrend die Hände.
„Das ist keine Entschuldigung. Aber na ja, ich hatte ja auch was zu lachen", rief ich mir das Bild zurück in den Kopf und sofort schlich sich wieder ein Grinsen auf meine blauen Lippen.
„Ist dir kalt?", wollte er nun besorgt wissen und kam mir einige Schritte näher.
„Nein, das Wasser ist doch pudelwarm, oder nicht?", ich zwinkerte ihm kurz zu, fing leider doch langsam an zu schlottern.
„Sollen wir lieber wieder reingehen, nicht, dass du noch krank wirst?"
Da war ich leider Zwiegespalten. Gerade war es so schön, eigentlich wollte ich hier nicht weg, wollte nicht, dass dieses Treffen enden würde, doch andererseits wäre ein Date mit meiner Kuscheldecke vor dem wärmenden Kamin natürlich auch nicht schlecht.
„Du bist doch auch nass", gab ich trocken zurück und watete in Richtung Ufer.
„Ich bin abgehärtet", erwiderte er unberührt und folgte mir langsamen Schrittes.
„Wenn das so ist", grummelte ich, doch das Grinsen verschwand nicht.

Zusammen schlenderten wir wieder in das Gebäude, und es machte keinem von uns etwas aus, dass wir vermutlich gerade Pfützen im ganzen Schulhaus verteilten. Triefend und zitternd liefen wir nebeneinander her, bis sich unsere Wege schließlich trennten.
„Na dann ...tschüss", verabschiedete ich mich unbeholfen, in dem Mangel aus Ideen, was ich sagen könnte.
Gerade wollte ich die Treppen hinab in Richtung Gemeinschaftsraum stapfen, da hielt mich etwas auf.
„Kathy, warte!", schrie da James und ich stockte mitten in der Bewegung.
„Hm?"
„Danke", brachte er heraus, ehe er völlig unbeirrt seinen Weg fortsetzte.
Ohne mein Zutun musste ich schon wieder lächeln. Und so hüpfte ich glücklich, mit einem seelischen Grinsen auf den Lippen immer näher den Schlafsälen, und sah dabei wahrscheinlich aus wie ein gestörtes Tier. Aber das war mir sowas von egal.

Das Pferdemädchen (Harry Potter, Next Generation ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt