Das menschliche Gesicht und ein sprechender Sarg

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„Rose ...", ich presste angestrengt die Zähne aufeinander, sodass es schon fast schmerzte.
‚Nicht ausrasten, Kathy, bleib einfach ruhig', rief ich mir selbst mein Mantra in Erinnerung, welches ich vor Betreten des Ladens festgelegt hatte.
Die Einhaltung ließ zwar derzeit noch zu wünschen übrig, denn ich hatte mich schon mehrfach nicht gerade leise über einige Kostüme aufgeregt, aber wenigstens dieses Mal konnte ich mich daran halten. Hoffte ich jedenfalls.
„Was gibts, Kathy?", flötete sie übertrieben fröhlich und versuchte angestrengt, sich aus ihrem Kostüm zu befreien. Vergeblich.
„Ich werde nicht als überdimensionales rechtes Ohr mit einem genauso groß geratenem pinken Ohrring gehen, während du das Linke mit einem blauen Klunker bist", knirschte ich und atmete erst ganz tief ein, dann genauso gemächlich wieder aus.

„Wenn du willst, kannst du auch das Linke sein. Mir macht das nichts aus, ich mag rosa", gab sie zurück und lächelte entschuldigend.
„Wenn du mir kurz aus diesem Kostüm helfen könntest? Dann tauschen wir, versprochen."
„Ich würde dir ja zu gerne helfen, aber leider ist es mir in diesem Teil nicht möglich, mich frei zu bewegen", brachte ich heraus, als hinter mir das Glöckchen des Eingangs läutete und zwei Jungen aus unserer Stufe hineinspazierten.
Nicht auch noch das! Ich hätte schwören können, dass mein Gesicht gerade die gleiche Farbe annahm wie der Ohrstecker. Okay, vielleicht ein paar Nuancen dunkler. Es könnte dem rot-weiß gepunkteten Vorhang zum Verwechseln ähnlich sehen.

„Ich will auch nicht als Mund gehen", piepste es da kichernd aus einer der hinteren Ecken des winzigen Shops.
„Dann kannst du ja mit Kathy tauschen, Albus", erfreut klatschte meine beste Freundin in die Hände.
„Rose, schreib dir das hinter die Ohren", begann Al und lachte dank seines kleinen Wortspiels erfreut auf, „Ich werden niemals, wirklich nie, als ein Ohr gehen. Da laufe ich lieber als ein mit Lippenstift zugekleisterter Mund in der Schule herum."
„Wieso beschwerst du dich dann?"
„Weil ich weder als Mund, noch als Ohr gehen werde", beschloss der jüngere Potter und fing an, mit seinen Fingernägeln auf dem gummiartigen Stoff ein Trommelspiel aufzuführen.
„Können wir uns darauf einigen, dass wir uns nicht als Gesicht verkleiden? Ich gebe keine gute Nase ab", mischte sich Scorpius ein und deutete an sich hinunter.
„Außerdem streiten sich James und Fred immer noch darum, wer das blaue und wer das grüne Auge sein darf", seufzte er auf und unsere Blicke wanderten wie ferngesteuert zu den beiden zankenden Personen, die an einem riesigen, grünen Auge zerrten.
„Okay, dann gehen wir halt nicht als Gesicht. Es war ja nur eine Idee", lenkte nun auch Rose ein und ich seufzte erleichtert auf.
Viel schlimmer konnte es nicht kommen.

Natürlich war Rose sofort auf das zerlegte Gummi-Gesicht im Schaufenster aufmerksam geworden und kaum hatten wir die Tür des Ladens aufgerissen, zeigte ihr ausgestreckter Zeigefinger schon auf eines der Ohren.

„Jungs, hört auf zu streiten, ich habe einen neuen Plan. Und helft uns bitte aus unseren Kostümen, ich komm hier nicht mehr raus", zur Verdeutlichung ihrer Worte zappelte sie kurz wild herum, wobei sie eher aussah wie ein Fisch an der Angel. Oder eben ein Ohr am Hacken.
„Wenn ihr hereingekommen seid, schafft ihr es auch sicher wieder hinaus", grinste Fred mit einer erstaunlich hohen Stimme und zog eine Augenbraue hoch.
„Ach komm Fred, wir wollen die Damen doch nicht enttäuschen", lachte Potter und kassierte damit zwei böse Blicke von Rose und mir.
„Und was ist mit uns?", meckerte Albus seinen Bruder an und versuchte, die Arme miteinander zu verschränken. Die Betonung liegt auf ‚versuchte'.
„Ich sagte doch, wir helfen den Damen", erwiderte James mit einem breiten Lächeln und ging auf seinen Bruder zu, um wie ein Verrückter an dem Kostüm, wenn man es als solches überhaupt noch betiteln konnte, zu zerren.

„Junger Mann, passen sie doch auf! Das sind hochqualitative Anzüge für jegliche Gelegenheiten", fing eine Frau lauthals zu schimpfen und zupfte unsanft an James Schulter, während dieser einfach weiter sorgenlos an seinem Bruder rüttelte.
„Klar, ich würde dieses Outfit auch zu jeder Gelegenheit anziehen", murmelte der durchgeschüttelte Albus und verdrehte die Augen.
„Wenn es so eine hohe Qualität besitzt, würde man wohl auch besser wieder rauskommen", gab James fröhlich von sich und riss noch einmal an einem der Mundwinkel, schon war Al wieder frei.
„Hey, kein Danke?"
„Nein, sei froh, dass du alle beeindrucken konntest, wie toll du mich doch gerettet hast", grinste er seinen Bruder spielerisch an und flüchtete sich sogleich hinter eine Kleiderstange.
Auch Scorp war mittlerweile halbwegs befreit, nur noch seine Beine ragten aus den beiden riesigen Nasenlöchern, die an unendliche, schwarze Tunnel ins Nichts erinnerten.
„Hat jemand eine Kamera? Das muss ich festhalten", brachte ich belustigt heraus, während Albus sich schon auf dem Boden kugelte und kurz davor war, den Ständer samt Klamotten umzureißen.

„Unerhört", flüsterte die Dame verbittert, ehe sie sich wieder ihren Weg hinter die Kasse bahnte.
„Fred, schwing sofort deinen Hintern hier rüber und hilf mir!", wurde jetzt auch Rose hektischer und zeigte demonstrativ an sich hinab.
„James, du reichst bitte Kathy eine helfende Hand", sie zwinkerte mir verschmitzt zu, schon wurde auch sie gründlich durchgeschüttelt.
Ach, daher wehte also der Wind.
Ich konnte mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen, nickte jedoch brav, obwohl sie das wahrscheinlich gar nicht mehr richtig mitbekam.

„Dann wollen wir mal", ertönte es plötzlich von hinten und ich zuckte leicht zusammen, doch zu meiner Verwunderung wurde ich nicht sofort so grob behandelt wie die anderen.
„Augen zu", befahl mir James, was ich auch ohne auch nur eine Sekunde zu zögern tat.
So fest ich konnte, kniff ich die Lider zusammen und schon kam ich mir vor, als wäre ich in einem Trockner gelandet.
„Arme einmal hoch", erklang es von hinten und ich riss die Hände in die Höhe, immer noch mit geschlossenen Augen.
Und dann war ich frei. Das nervige Gummi, was mich kurz davor noch umhüllt und gefesselt hatte, war von einem Moment auf den anderen verschwunden.
„Du kannst die Arme wieder runternehmen", lachte es hinter mir, sodass mich eine angenehme Gänsehaut überzog.
„Augen auf", flüsterte es nah neben meinem Ohr und ich öffnete vorsichtig erst das rechte, dann das linke Auge.
„Fast ein bisschen schade, du hättest sicher ein tolles Ohr abgegeben", murmelte er noch, ehe er sich von mir entfernte und ich weiterhin wie eingefroren im Raum stand. Einzig und allein mein Kopf wurde immer wärmer, als wäre ein Vulkan mit glühend heißem Lava darin ausgebrochen.
Nur nebenbei bekam ich die Beschwerden von Rose und das fast schon hysterische Lachen von Albus Seite mit, sowie das Seufzten Scorps.
Was um alles in der Welt war das?

„Kathy? Kathy, ich hab eine neue Idee! Kathy!", schnipste es auf einmal vor meinem Gesicht und ich blinzelte irritiert.
„Was ist es diesmal, Rose?", stotterte ich aus dem Konzept gebracht und versuchte, einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
„Das Gleiche könnte ich dich fragen, aber ich glaube, in der Anwesenheit meines Cousins ist das nicht gerade günstig. Also verlegen wir das auf später", sie warf mir ein verschwörerisches Grinsen zu und zwickte mir leicht in die Wange, sodass ich mich fühlte, wie ein kleines Kind.
„Wir gehen als ..."
„Bitte sag nicht, wir gehen als Sarg und Vampir", betete ich und musterte die ausgestellten Kleider.
„Oh, die gibt es auch noch! Planänderung!", rief sie und begann munter zu pfeifen, während sie in die Richtung hüpfte.
Wieso musste ich das jetzt auch noch verplappern? Womöglich wären wir als Zombies gegangen, ja, sogar das Katzen-Doppelset wäre okay gewesen, aber nein, jetzt war ich wahrscheinlich ein unbequemer Sarg für Leichen, oder in diesem Fall, für eine übermotivierte Rose.

„Der passt mir nicht. Und dir auch nicht", stellte Rose fest und ich wollte schon ausatmen, da blitzen ihre Augen auf.
„Mir nicht, aber einem anderen vielleicht schon."
Ich hatte da eine ganz böse Vorahnung.
„James!", hallte es quer durch den Laden und ich sank auf die Knie.
Vielleicht könnten wir doch als menschliches Gesicht gehen.
„Schau mal, willst du ein cooler Sarg sein? Kathy ist dann passen dazu Graf Dracula."
„Rose, du hörst dich an, als hättest du vor, etwas zu verkaufen", grummelte ich in mich hinein, blieb allerdings unbemerkt.
„So sehr es mich auch ehren würde, ein passendes Kostüm zu Kathys zu tragen, war ich trotzdem nicht darauf aus, als eine hölzerne Kiste zu gehen. Sorry, Cousinchen, daraus wird dieses Jahr nichts", lehnte er mit einem belustigten Blick zu mir ab und klopfte der beleidigten Rose versöhnlicher auf die Schulter, ehe er sich wieder verkrümelte.
„Danke", meinte ich laut und riss die Arme in die Luft.
„Danke, dass ich nicht als blutsaugender, blasser Typ mit sprechendem Sarg gehen muss."

Das Pferdemädchen (Harry Potter, Next Generation ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt