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„Wieso mache ich das nochmal?", flüsterte ich mir leise zu, während mein Blick auf den Nachtclub vor mir geheftet ist, den ich mir geschworen hatte, niemals zu betreten. Einerseits war ich wirklich nicht der Typ Frau, der sich am Wochenende in viel zu kurze Kleider und High-Heels warf, nur um sich an einen gutaussehenden Badboy oder reichen CEO zu schmeißen, und außerdem gehörte dieser Laden den „Black Tigers" – einem kriminellen Clan, der weit mehr als nur Drogenverkäufe und Schlägereien vorzuweisen hatte. Es gab Gerüchte über Schießereien, Entführungen und Organhandel. Gerüchte, die mehr oder weniger alle belegbar waren. Und trotzdem tat die Polizei nichts. Sahen sie das Tattoo, das alle Mitglieder kennzeichnete, suchten die Behörden schneller das Weite, als man gucken konnte. Die „Black Tigers" waren gefährliche Männer, denen man besser nicht im Dunkeln begegnen wollte, und ich hatte schon genug Schwierigkeiten in meinem Leben, um nicht noch mehr gebrauchen zu können. Seufzend fuhr ich mir durch meine langen, schwarzen Haare. Heute hatte ich endlich mal einen Tag frei und anstatt zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen und die sturmfreie WG zu genießen, war ich nun hier und beobachtete die lange Schlange, die sich vor dem Eingang den Arsch abfror. Noch ein Minuspunkt der zu kurzen Kleider. Wieso um alles in der Welt erniedrigten sich Frauen dermaßen? Besonders für Männer, die meistens nicht mehr als einen schnellen Fick wollten und sie danach wie heiße Kartoffeln fallen ließen? Sie merkten sich vermutlich nicht einmal ihren Namen, wenn sie die Frauen nach ihrer Befriedigung von ihrem Schoß schubsten und aus der Haustür jagten? Es gab nur wenige Frauen, die wirklich zur Gang gehörten. Die „Old Ladies". Und diese sah man noch seltener als ihre Männer. War man erst einmal als „Old Lady" auserwählt, gehörte man diesem einen Mann für immer. Das war Gesetz. Und dumm... Aber das war meine Meinung. Männer waren nicht dafür geschaffen, für immer zu lieben. Das war zumindest meine bisherige Erfahrung mit den Männern in meinem Leben. Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken. Die Vibration versprach mir eine neue Nachricht und ich hatte recht damit. Ich verdrehte meine Augen, als ich auf den Chat mit Jules klickte und ihre Stimme ertönte. Eine Sprachnachricht... Zum Schreiben war meine nervige Mitbewohnerin wohl auch nicht mehr in der Lage.

„Sky, Süüüüßßee... Wo ... bleib... duuuu?" 

Stöhnend steckte ich mein Handy wieder ein. Jules war so betrunken, dass sie bestimmt weder meine Antwort lesen noch hören würde und deshalb musste ich sie auch schnellstmöglich da raus holen. Wir waren zwar nicht wirklich Freundinnen, aber sie war wohl das, was dem am nächsten kam. Zusammen mit ihr, Miranda und Brianna teilte ich mir eine Wohnung und das auch nur, weil ich nicht in der Lage war, mir etwas eigenes zu leisten. Außerdem war ich sowieso meistens unterwegs, weshalb es mir egal war, dass Mira und Bri die größten Schlampen der Stadt waren. Jules war zwar auch nicht ohne, aber bei ihr bestand wenigstens die Option, dass sie sich alleine in ihrem Zimmer befand, wenn man mit ihr sprechen musste. Jetzt allerdings lag sie vollkommen betrunken auf dem Frauenklo des „Silver" und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Obwohl sie mit unseren beiden anderen Mitbewohnerinnen losgezogen war, hatte sie mich benachrichtigt, um sie abzuholen. Ihre Freundinnen war das wohl nicht wichtig genug und ich war viel zu nett, um Jules auf der Clubtoilette vor sich hinvegetieren zu lassen. Deshalb lief ich nun auch an der langen Schlange vorbei direkt auf den Türsteher zu, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue zu mustern begann. Er war groß – bestimmt zwei Meter – und ein Bär von einem Mann. Breite Schultern, an die sich ein schwarzes T-Shirt schmiegte und nach unten hin genau seine definierten Bauchmuskeln preisgab, und Oberarme, mit denen er wahrscheinlich den Kopf eines Kindes zerquetschen konnte, ließen ihn zusammen mit den unzähligen Tattoos, die sich sogar bis in sein Gesicht zogen, unglaublich gefährlich wirken. Der typische Tigerkopf war auf seinem Unterarm verewigt worden, der sich in diesem Moment hob, um an das Ende der Schlange zu zeigen. Bevor der Bär allerdings etwas sagen konnte, kam ich ihm zuvor.

„Hör zu, ich will nur meine Freundin abholen, die euch gerade die Toiletten vollkotzt, und nicht feiern gehen. Kannst du mich einfach kurz reinlassen? Ich bin in zwei Minuten wieder da?" Ein Grinsen stahl sich in das Gesicht des Türstehers, während das Mädchen, das gerade am Anfang der Schlange angekommen war, verächtlich auf schnaubte.

„Mieser Trick, Bitch", zischte sie, was mich genervt den Kopf in den Nacken werfen ließ. 

„Hör zu, Kleine", knurrte ich. „Wer die Bitch ist, lässt sich anhand der Klamotten eindeutig erkennen, schließlich lässt dein Outfit keine Fantasien mehr zu, und außerdem halt die Klappe, wenn die Erwachsenen sich unterhalten." Das Mädchen, das ich auf höchstens sechszehn schätzte, zischte laut auf, während der Bär vor mir einen amüsierten Grunzer von sich gab. Schnell wendete ich mich wieder ihm zu.

„Ich will nach Hause auf die Couch und die nächste Folge von GOT sehen, kann ich also einfach Jules von euren Toilettenboden kratzen und wieder gehen? Ich erspare euch viel Arbeit, wenn sie nicht weiter eine Kabine versperrt und eure teuren Fließen versaut." Ich versuchte, einen flehenden Blick aufzusetzen, aber ich wusste, dass meine eisblauen Augen undurchdringlich waren. Manchmal wünschte ich mir wirklich warme, braune Rehäuglein, wie Jules sie besaß. Sie konnte wirklich jeden Kerl um den Finger wickeln.

„Nein." Die Stimme des Bären vor mir war dunkel und kalt, auch wenn seine Mundwinkel zu einem amüsierten Grinsen verzogen waren. Seufzend fuhr ich mir abermals durch die Haare, ehe ich genervt auf die Schlange deutete.

„Muss ich mich echt anstellen, nur damit du mir nachher sagst, dass ich mit Jeans und Top nicht  nuttig genug gekleidet bin, um reingelassen zu werden?" Das Grinsen des Bären wurde breiter. Das war aber auch die einzige Regung, die er zeigte, während die Kleine vorne in der Schlange zu kichern begann.

„Es weiß eben nicht jeder, was angesagt ist", erklärte sie das Unerhebliche.

„Angesagt oder zu klein... Ich verstehe da leider den Unterschied nicht", erwiderte ich zuckersüß, während ich die kleine Blondine einmal knapp musterte. Ihr pinkes Top bedeckte gerade so ihre zu große Oberweite und der schwarze Glitzerrock ließ auch kaum mehr Geheimnisse übrig. Alles in allem würde sie wohl nachher auf irgendeinem Schoß der „Black Tiger" ihre Runden drehen und dann nach Hause zurückgehen, um morgen pünktlich in der Schule zu sein. Zum Glück war ich vor zehn Jahren nicht so gewesen.

„Du verdammte...", zischte die Kleine, als sich plötzlich die Stimmung um uns herum komplett veränderte. Es war, als wären dunkle Wolken aufgezogen und hätten eine Kälte hinterlassen, die einzig und allein der Präsenz zu verschulden war, die ich nun hinter mir spürte.

„Gibt es hier ein Problem?" Ein warmer Atem traf meinen Nacken und hinterließ dort eine unangenehme Gänsehaut. Tief atmete ich ein, um nicht sofort davonzulaufen. Ich hasste es, wenn mir jemand zu nah war, und das war der Kerl hinter mir eindeutig.

„Die wollte sich vordrängeln", säuselte die Kleine in der Schlange, während ich mich umdrehte, um dem Mann in die Augen zu sehen, dem sie eindeutig jetzt schon verfallen war. Und ich musste leider zugeben, dass ich sie verstehen konnte. Er war wirklich gutaussehend. Ich schätzte ihn auf ungefähr 1,80m und sein Körper war nicht so übertrainiert wie der des Türstehers. Er hatte Muskeln, das konnte man unter dem schwarzen Hemd und der dunklen Jeans genau erkennen, aber sie waren genau auf den Punkt. Er hatte kurze, schwarze Haare, einen Dreitagebart und unglaubliche, dunkelgrüne Augen, die mich genauso musterten wie ich ihn. Er war zweifelsohne ein „Black Tiger", auch wenn ich sein Tattoo auf den ersten Blick nicht ausmachen konnte.

„Du wolltest dich also vordrängeln?", wiederholte der Fremde die Worte des Mädchens, das mittlerweile vom Türsteher in den Club gelassen wurde. Stöhnend warf ich meinen Kopf in den Nacken.

„Ich will nur meine Freundin von eurer Toilette kratzen und dann wieder nach Hause fahren. Dafür muss ich mich nun wirklich nicht anstellen, oder?" Ein amüsiertes Funkeln trat in die Augen des Unbekannten, während er mich noch einmal eindringlich von oben nach unten musterte. Trotz meiner normalen Kleidung fühlte ich mich nackt unter seinem stechenden Blick

„Blake, ich...", begann der Türsteher, doch eine einzelne Handbewegung brachte ihn zum Schweigen. Ohne den Blick von mir abzuwenden, deutete der Fremde vor sich her auf die Clubtür, die in diesem Moment von einem weiteren „Black Tiger" geöffnet wurde. Skeptisch sah ich von dem Unbekannten, der offensichtlich Blake hieß, zu dem Türsteher, der nicht begeistert zu sein schien, dass ich nun doch meinen Willen bekam. Allein sein frustrierter Gesichtsausdruck brachte mich zum Grinsen.

„Geht doch", freute ich mich gespielt übertrieben, als ich an Blake vorbei durch die Eingangstür schritt.

Skylar - Sei meinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt