XVI

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„Sniper muss davon erfahren." 

Ruckartig packte ich Doc am Kragen und zog ihn bis dicht vor mein Gesicht. Überraschung spiegelte sich in seinen Augen wider, als er mir so nahe war.

„Kein Wort zu Lijah oder sonst zu irgendjemandem hierüber." Ich sah, wie sich Docs Gesichtszüge verhärteten, während er seine Hände an meine Finger legte und sie seltsam sanft löste. „Bitte." Mein Flüstern ließ Doc für einen einzigen Moment innehalten, ehe er sich, ohne mir noch einmal in die Augen zu sehen, wieder meiner Wunde widmete. Stumm beobachtete ich, wie er sie zuerst reinigte, ehe er sie zu nähen begann. Ich wollte ihm sagen, dass das unnötig war, aber diese seltsame Atmosphäre zwischen uns ließ mich kein weiteres Wort verlieren. Nicht einmal dann, als Doc sich plötzlich wie selbstverständlich meinem weiteren Körper widmete. Er reinigte jeden noch so kleinen Schnitt und taste über die Blutergüsse, als wäre ich eine Porzellanpuppe, die jederzeit zerbrechen könnte. Ich fühlte mich beschämt und schwach unter den sorgsamen Händen des Bikers, aber dennoch wagte ich es nicht, mich zu bewegen. Erst als er seine Prozedur beendet hatte und mir langsam in die Augen sah, verschwand die entstandene Atmosphäre. Als hätte mich jemand mit kaltem Wasser überschüttet, sprang ich von der Liege und zog mir, so schnell es ging, wieder das große Shirt über den Kopf. Doc ließ mich dabei keine Minute aus den Augen.

„Es ist erstaunlich, wie fließend deine Bewegungen sind trotz der ... Verletzungen." Ich seufzte

„Ich könnte jetzt lügen, aber du erahnst es wahrscheinlich eh. Ich bin es gewohnt."

„Niemand sollte das gewohnt sein. Vor allem keine Frau." Ich lachte auf.

„Macho." Eigentlich sollte meine Bemerkung die Stimmung lockern, doch sie hinterließ viel eher einen bitteren Nachgeschmack. Eine düstere Atmosphäre, die ich weder aushalten wollte noch würde. 

„Danke, Doc." Mit diesen Worten tippte ich kurz etwas auf meinem Handy, ehe ich es in meinen rechten Schuh schob und Richtung Tür schritt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Doc mich aufhalten würde, aber das tat er nicht. Obwohl ich seinen Blick in meinem Nacken spürte, ließ er mich einfach aus dem Krankenzimmer verschwinden. Wie selbstverständlich lief ich den Weg zurück und die Treppen nach unten in den Barraum. Wenn mich die Vergangenheit etwas gelehrt hatte, dann war es, mich anzupassen. An Orten, an denen ich eigentlich gar nicht sein sollte und wollte, so zu erscheinen, als würde ich genau dorthin gehören. Auch wenn ich eindeutig zu viel anhatte, um eine der Bikerhuren zu sein, gab es glücklicherweise auch andere Frauen hier unten, die weniger auffielen, aber trotzdem anwesend waren. Und so schnappte ich mir einfach ein herrenloses Bier von einem der ersten Tische, an denen ich vorbei ging und setzte ein falsches Lächeln auf. Alles in der Hoffnung, dass die meisten Gangmitglieder einfach zu betrunken oder uninteressiert gewesen waren, um mitzubekommen, welche Frau ihr Präsident mit in die Bar geschleppt hatte. Und so atmete ich tief ein, schluchzte einmal dramatisch auf und stürmte Richtung Tür. Unauffällig achtete ich darauf, dass keiner der Biker, die mich schon kannten, in meiner Nähe war, aber zum Glück konnte ich weder David noch Kai sehen. Nate hing an den Lippen einer dickbusigen Brünetten, während Xav gerade in einer der bequemen Lederbuchten am Ende des Raumes von einer Blondine beglückt wurde. Angewidert wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder gänzlich der Eingangstür zu und schluchzte theatralisch noch einmal auf, ehe ich in die frische Luft trat.

„Hey Süße." 

Verdammt!

Noch einmal schluchzte ich auf und wendete mich den beiden Bikern zu, der neben der Tür gerade eine rauchten. Der, der mich gerade angesprochen hatte, schnipste seine Zigarette grinsend zur Seite und trat auf mich zu. 

„Was ist denn mit dir passiert?"

„Sniper!", schluchzte ich laut auf. Von allen anderen kannte ich die Straßennamen nicht und so wie ich das verstand, nannte man sich hier bei eben diesen Namen, wenn man nicht zur Familie gehörte. Dass David mir seine Brüder unter den bürgerlichen Namen vorgestellt hatte, musste schon mehr bedeutet haben, als ich es zu dem Zeitpunkt verstanden hatte.

„Was ist mit Sniper, Süße?"

„Ich... ich...", schluchzte ich, ehe ich einen großen Schluck aus dem Bier nahm. Innerlich hoffte ich einfach nur, dass ich mir damit keinerlei Krankheiten einfangen würde. 

„Ich dachte, er liebt mich." Die Biker lachten auf, während ich mir innerlich auf die Schulter klopfte. Ich hätte doch eine Bühnenkarriere verfolgen sollen.

Skylar - Sei meinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt