Jareds Wohnung war geprägt von reinem Chaos. In dem langen Flur, der ins Wohnzimmer führte, lagen leere Flaschen und Zigarettenpackungen achtlos nebeneinander. Der Teppichboden war übersät mit dunklen Flecken, von denen ich nicht einmal wissen wollte, woher sie alle stammten. Jared räumte nicht auf. Jared putzte und lüftete auch nicht. Wenn das jemand tat, dann war ich das. Aber ich war zu selten hier, um alles rein und sauber zu halten. Das hatte ich schon lange aufgegeben.
„Hast du es dabei?" Ich betrat nach Jared das kleine Wohnzimmer. Es war einmal schön eingerichtet gewesen, doch heute war davon kaum noch etwas übrig. Die Möbel, die ich ihm gekauft hatte, hatte der junge Mann längst zu Geld gemacht und stattdessen eine alte Couch vom Sperrmüll und einen kleinen Glastisch in sein Heim geschleppt, die wohl nicht nur einen Vorbesitzer gehabt hatten. Leere Pizzakartons und Bierflaschen zierten auch hier den grünen Teppichboden und hinterließen einen derben Geruch, der die Luft verpestete. Gepaart mit dem Zigarettenrauch ergab das eine Mischung, die mich nachts noch in meinen Träumen verfolgte.
„Stört dich schon wieder etwas, Sky?" Die Verachtung in Jareds Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Er hasste mich nicht. Das konnte er gar nicht, oder? Nein, nicht er.
„Ich bin nur froh, dich zu sehen."
Mit diesen Worten ließ ich meine Augen ein weiteres Mal über Jared wandern. Es war wirklich nicht mehr viel von dem Jungen übrig, mit dem ich aufgewachsen war. Früher waren die Mädchen ihm verfallen gewesen und er hatte das genossen. Er war das blühende Leben gewesen. Party, Weiber und sein Bike, das hatte ihn ausgemacht. Ich hatte sein Lächeln geliebt, seine Scherze und den Beschützerinstinkt, den er mir gegenüber gehabt hatte. Doch das war lange vorbei. Aber es gab einen Weg zurück. Zurück zu dem lebensfrohen, glücklichen Jared. Und nicht diesem scheußlichen Abbild seiner Selbst, das er seit drei Jahren zur Schau stellte
„Wo ist es?" Seufzend griff ich in meine Tasche und zog die Tablettenschachtel hervor. Sie war noch nicht einmal gänzlich im Licht, da war Jared schon auf mich zu gesprungen und hatte sie mir aus der Hand gerissen. „Das ist alles?!" Seufzend nickte ich.
„Du weißt, dass ich nicht einfach den gesamten Medikamentenschrank aus dem Krankenhaus mitgehen lassen kann, Jar. Du musst..." Ein plötzlicher Schmerz riss mich von den Beinen. Voller Wucht krachte ich zu Boden und rieb mir stöhnend die Wange. Es war nicht das erste Mal, dass Jared mich schlug, aber normalerweise versuchte er wenigstens, mein Gesicht zu schonen. Als ob er meine Gedanken gehört hätte, holte der junge Mann vor mir aus und trat mir in die Rippen
„Ich muss gar nichts, Sky." Nächster Tritt.
„Absolut gar nichts." Noch einer.
„Aber du musst endlich verstehen, dass du deinen Pflichten nachkommen musst." Ein letzter Tritt in meinen Bauch folgte, ehe Jared sich abwendete und sich auf das Sofa fallen ließ.
„Das bist du mir schuldig." Ohne mich auch nur noch eines Blickes zu würdigen, riss er die Tablettenschachtel auf und schluckte gleich zwei der verschreibungspflichtigen Schmerzmittel, ehe er eine angebrochene Bierflasche von seinem Glastisch nahm und sie mit einem großen Schluck der bitteren Flüssigkeit hinunter schluckte. Seufzend schloss er die Augen und bedeckte sie mit seinem Unterarm, ohne die Bierflasche loszulassen.
„Ich weiß, Jar", murmelte ich leise, während ich mich stöhnend aufrichtete. Meine Rippen und mein Bauch schmerzten, aber Jared hatte anscheinend schon so viel getrunken, dass seine Tritte weniger kraftvoll waren wie sonst. Was hatte ich nur wieder für ein Glück... „Ich bemühe mich, aber vielleicht solltest du..."
„Heute nicht!", fuhr Jared mich an, ohne sich auch nur zu bewegen. „Ich will keine Predigten hören oder Vorschläge. Lass mich einfach in Ruhe, Sky. Und verschwinde jetzt!"
„Aber..." Jared knurrte laut auf, was mich sofort verstummen ließ. Ich wusste, wenn er jetzt aufstehen würde, dann würde er doch noch die Rippen brechen. Und so erhob ich mich langsam – ohne den Blick von Jared zu nehmen. Sein Körper war in sich zusammen gefallen und er atmete ruhig und gleichmäßig. Nachdenklich betrachtete ich ihn. Früher hatte ich gerne neben ihm geschlafen und mich an seine Seite gekuschelt, wenn Dad wieder einmal zu betrunken oder einfach nur wütend gewesen war. Jared war der letzte Mensch gewesen, dem ich etwas bedeutet hatte – aber auch er hatte mich verlassen. Auf seine ganz eigene Art. Stumm sah ich mich um, ehe mein Blick auf eine Decke fiel, die in der hintersten Ecke des Raumes lag. Mit vorsichtigen Schritten ging ich auf sie zu und hob sie auf. Meine Seite schmerzte, aber ich wusste, dass er Schmerz bald nachlassen würde. Das tat er immer. Blaue Flecken würden bleiben und eine Weile würde ich wohl keine Gewichte stemmen können, aber es war auszuhalten.
Es war schon schlimmer gewesen...
Viel schlimmer.
Mit dem Gedanken warf ich die Decke über den schlafenden Jared und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. Eine Geste, die er mittlerweile hasste – die ich aber nicht abstellen konnte. Ich sorgte mich um Jared.
Egal wie er mich behandelte, ich liebte ihn.
Und das würde ich wohl auch immer.
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Skylar - Sei mein
RomanceSeit Jahren ist Skylar allein und genau das ist es auch, was sie will. Schließlich hat sie in der Vergangenheit genug durchgemacht, um nicht mehr allzu leicht vertrauen zu können. Doch als endlich alles wieder gut zu werden scheint, taucht ihr Brude...