VII

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„Endlich." Stöhnend ließ sich Jules auf unser Sofa fallen und schoss die Augen. Hinter mir schloss ich die Tür und trat in die offene Küche, die sich direkt daneben befand. In unserer WG war wohl der offene Küchen- und Wohnbereich das schönste an allem. Es war ein riesiger Raum, in den man direkt beim Betreten der Wohnung gelang. Rechts neben der Tür befand sich die rote Küchenzeile mit der weißen Arbeitsplatte, die ich wohl niemals ausgesucht hätte, aber im Endeffekt nicht als hässlich deklarieren konnte. Passend zu ihr gab es eine riesige Kücheninsel in denselben Farben, die sich gut von den schwarzen Fließen abhob, die den gesamten Raum zierten. Die schwarze Ledercouch, auf der Jules sich niedergelassen hatte, befand sich direkt gegenüber der Küche und war in einen Zwei- und einen Dreisitzer aufgeteilt, die in einer L-Form standen, dessen Mitte ein Glastisch zierte. Rechts davon an der Wand stand unser großer, weißer Esstisch, von dem man durch zwei riesige Glastüren hinaus auf die Dachterrasse sehen konnte. Links neben dem Sofa führte ein Gang gerade aus und einer direkt nach rechts ab. Jeweils zwei Schlafzimmer befanden sich dort und ich war froh, mir meinen Gang mit Jules zu teilen. Auch wenn sie hin und wieder Männerbesuch hatte, wollte ich mir das tägliche Stöhnen meiner anderen zwei Mitbewohnerinnen gerne ersparen. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, warum sich Frauen so vielen Männern hingaben. Natürlich war auch ich keine Jungfrau mehr, aber meine Männererfahrungen beliefen sich auf gerade mal einen Kerl, den ich am liebsten nie wieder sehen wollte, während Mira und Bri und leider vermutlich auch Jules gar nicht mehr wussten, wie viele Männer sie schon nackt gesehen hatten.

„Sky?" Ich gab ein Brummen von mir, während ich mir eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank schnappte und mich damit an die Küchenzeile lehnte, um zu Jules blicken zu können. Diese hatte sich zu mir gedreht, ihren Arm auf die Sofalehne gelegt und ihren Kopf darauf gebettet. Sie war zwar noch sichtlich müde, aber trotzdem wieder voll zurechnungsfähig. Ob das an ihrem Schlaf oder an dem darauf folgenden Adrenalinkick lag, konnte ich nicht sagen, aber ich war froh, dass ich sie nicht in das Dachgeschoss hatte tragen müssen. „Was ist da gerade passiert?" Seufzend nahm ich einen Schluck Wasser, ehe ich die Flasche zudrehte und sie Jules zuwarf. Diese zuckte erschrocken zur Seite, sodass das Geschoss hinter ihr auf den Boden aufschlug

„Spinnst du?", fauchte sie, ohne den Blick von mir abzuwenden.

„Wasser tut dir gut", erwiderte ich schulterzuckend. Diese plötzliche Nähe zu Jules war mir fremd. Ich mochte sie – zumindest mehr als die anderen Mädels -, aber trotzdem hatte ich mich immer so gut wie möglich von ihr distanziert. Dieser Abend heute ließ das aber nicht mehr zu. Ich wusste, dass die Blondine Antworten verdiente. Antworten, die ich ihr eigentlich nicht geben wollte. 

„Du bist also eine Black Tiger?" Erschrocken riss ich die Augen auf.

„Was?!", schrie ich auf. 

„Natürlich nicht!" Jules lachte auf.

„Ich wache im VIP-Bereich auf, du bist im Büro des Bosses und läufst vor einem Typen weg, den du deinen Bruder nennst. Ein Black Tiger. Ein hotter Black Tiger. Was genau soll ich da denn denken?"

„Ich wundere mich, dass du überhaupt schon wieder denken kannst", versuche ich das Thema zu wechseln, doch an Jules Grinsen kann ich erkennen, dass sie mich nicht damit davon lassen kommen wird.

„Ich kann viel vertragen."

„Ich musste dich von der Toilette kratzen und fast bis zur Tür tragen, bevor du ohnmächtig geworden bist."

„Du hast mich fallen gelassen." Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht.

„Unabsichtlich."

„Wegen einem Black Tiger."

„Jules", knurrte ich genervt. 

„Ein für alle Mal, ich bin keine von denen. Ja, der eine war mein Bruder, aber ich habe ihn seit 7 Jahren nicht mehr gesehen und es wäre mir lieb gewesen, es wäre so geblieben. Und wenn ich es mir recht überlege, bist du an allem Schuld, also lass uns das einfach vergessen und uns - wie üblich - weitestgehend ignorieren." Jules seufzte auf.

„Ich will dich aber nicht ignorieren, Sky. Du bist die einzige, der ich hier wirklich vertraue." Zweifelnd zog ich meine Augenbrauen zusammen.

„Wir reden heute das erste Mal so viel miteinander", gab ich zu Bedenken. 

„Bri und Mira sind eigentlich deine Bezugspersonen hier, falls du das vergessen hast." Ich hatte erwartet, dass Jules auflachen würde bei meinen Worten oder zumindest grinsen, aber ihre Miene blieb hart.

„Als ich mich vorhin nicht gut gefühlt habe, haben die beiden mich einfach stehen gelassen. Du bist gekommen, um mir zu helfen." Ich erwiderte nichts, was Jules aufseufzen ließ. Langsam ließ sie sich nach hinten auf die Couch fallen, schnappte sich die Flasche Wasser vom Boden und nahm einen großen Schluck, ohne mich weiter anzusehen, ehe die nächsten Worte leise ihren Mund verließen. 

„Es tut mir leid, wenn ich dich damit in eine unangenehme Situation gebracht habe." Tief atmete ich ein und stieß mich von der Küchenzeile ab.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre alles in Ordnung. Aber es war nicht deine Intension, also ist es schon okay." Mit diesen Worten lief ich zu dem Gang, der zu unseren Zimmern führte. „Aber das nächste Mal ruf jemanden anderen an."

Skylar - Sei meinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt