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Kian

Autos fanden ihren Weg auf den Parkplatz, Schüler drängelten sich aus den Bussen, stellten ihre Fahrräder ab oder waren, sowie wir, zu Fuß gekommen. Ihre Wege und Richtungen waren verschieden, das Ziel aber das gleiche: Die Schule.

Unser Haus in der Stadt war nicht weit davon entfernt. Austin sprach sich dennoch dafür aus, ebenfalls mit dem Auto fahren, damit er morgens länger schlafen konnte.

„Alternativ könntest du darauf verzichten, morgens eine Stunde im Bad zuzutun", meinte Charlie genervt.

„Oh, entschuldige, dass ich auf mein Äußeres achte. Kann nicht jeder so fünf Mal gestorben und erwacht ankommen wollen wie du."

Dass Austin auf sein Äußeres achtete, war eine Untertreibung. Er war nahezu besessen davon. Sein Oufit musste immer stimmen, genauso wie seine Haare und sein Schmuck. Sonst ging es nicht nur mit seinem Selbstbewusstsein bergab, sondern auch mit seiner Stimmung. Und alle anderen hatten dann darunter zu leiden.

„So gemein zu sein war doch nun wirklich nicht nötig. Du siehst toll aus." Maddy warf Austin einen warnenden Blick zu und streichelte Charlie tröstend über den Arm.

Ausgeschlossen, dass er Austins Worten die geringste Bedeutung schenkte. Nach Austins Erwachen vor zehn Jahren hatte Charlie ihn unter seine Fittiche genommen. In dieser Zeit waren sie immer wieder aneinandergeraten. Danach rauften sie sich jedes Mal schnell wieder zusammen. Maddy wusste das. Sie vertrug nur keine Streitereien oder schlechte Stimmung. Sie suchte immer nach dem Positiven und fand Licht, egal wie dunkel es zu sein schien. Das bewunderte ich an ihr.

Als mir auffiel, dass viele der Schüler nicht direkt ins Gebäude gingen, sondern sich davor in Gruppen versammelten, fragte ich Charlie nach der Uhrzeit.

„Zehn nach Sieben", antwortete er nach einem kurzen Blick auf seine Uhr. „Wir haben noch zwanzig Minuten bis zur ersten Stunde."

„Ich habe doch gesagt, wir sind viel zu früh losgelaufen!" Austin verschränkte die Arme, schüttelte den Kopf und grummelte vor sich hin.

„Wir könnten die Zeit nutzen und uns mit ein paar Menschen unterhalten", schlug Maddy vor. Ihr Blick glitt lächelnd über den Hof. Ich erkannte Vorfreude darin. Enthusiasmus, den die Menschen nicht teilten.

Sie sahen immer wieder tuschelnd zu uns, aber ihr Auftreten konnte kaum distanzierter sein. Ich war froh, nicht hören zu können, was sie sagten.

„Auf mich wirken sie nicht so als seien sie scharf darauf, mit uns zu reden."

„Leute, bei der Uhrzeit kein Wunder. In zwei bis drei Stunden sieht das sicher ganz anders aus."

„Also ich bin dafür, dass wir Austin heute um acht Uhr ins Bett stecken. Sein Geheule löst das Verlangen in mir aus, seine Selbstheilungskräfte an ihre Grenzen zu treiben." Anna lächelte Austin bei ihrer Aussage betont freundlich an. Dieser schnaubte.

„Wenigstens habe ich Selbstheilungskräfte."

„Ohne die wärst du bei deinem Talent sicher schon ausgeblutet."

Durch einen leichten Schlag auf meinen Arm, erlangte Charlie meine Aufmerksamkeit zurück. Er nickte hinweisend zum anderen Ende des Hofes. Es dauerte keine Sekunde, bis ich sah, was er mir zeigen wollte: Silas und seine Begleiter, die direkt auf uns zusteuerten, verfolgt von erstaunten Blicken.

„Die sehen so aus als würden sie zu uns kommen."

Austins Schlagabtausch mit Anna fand ein jähes Ende, seine verschränkten Arme lösten sich langsam und sein gesamter Körper verlor an Anspannung.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt