Silas
Boris lief bereits zielstrebig auf Austin zu, als ich erfuhr, dass er vor der Schule ein Treffen mit ihm vereinbart hatte. Auch Kian stand dort. Ich war noch nicht dazu bereit, mich in einem Radius von weniger als 20 Meter mit ihm aufzuhalten. Ich brauchte Vorbereitungszeit und musste überprüfen, wie er auf mich reagierte. Am besten Boris vorschicken und unauffällig in Erfahrung bringen lassen, ob ich mich am Freitag sehr blamiert hatte. Doch so zum Kotzen direkt wie Boris war, würde er sich nicht die Mühe machen, irgendwas „unauffällig" zu tun.
Außerdem sah Kian uns in seine Richtung kommen. Es war zu spät, abzubiegen und der Situation durch einen Schlenker zum Schulhaus zu entkommen. Deshalb blieb ich mit Alica und Boris in Reih und Glied und hielt an meinem Wunsch fest, in den passenden Momenten – Momenten wie diesem hier – unsichtbar zu werden. Weiterhin erfolglos.
„Hey Party People!" Boris boxte Austin kumpelhaft in die Schulter. Sofort lagen alle Augen auf ihm.
Mir sollte es recht sein. Wenn sich alle ihm widmeten, lag deutlich weniger Aufmerksamkeit auf mir. Nur Kian schien die besondere Fähigkeit zu haben, sich dieser Wirkung zu entziehen. Er schaute mich an, seit er mich in einiger Entfernung auf ihn zugehen sehen hatte. Statt seine Blicke zu erwidern hatte ich mich umgesehen, auf den Boden geschaut und sogar ein kurzes Gespräch mit Alica über das Wetter begonnen. Und da stand ich dann, direkt neben ihm, während er mir leise einen guten Morgen wünschte.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich wich seinem Blick weiter aus. Nicht, weil ich ihn nicht ansehen wollte, sondern weil ich ihn nicht ansehen konnte.
So besoffen wie ich am Freitag gewesen sein musste, hatte ich definitiv etwas angestellt. Mich darüber zu freuen, dass er mich begrüßte, obwohl ich versucht hatte, ihn zu ignorieren, war nichts anderes als dämlich. Er war zu gut erzogen, um von heute auf morgen kein Wort mehr mit mir zu wechseln. Und es hätte ja auch ein zu leise geratenes allgemeines ‚Guten Morgen' sein können.
„Also das mit der Party müssen wir echt nochmal üben." Boris schaute strafend in die Runde. „Ende des Sommers ist eine Strandparty am See. Da gehen wir zusammen hin."
„Wer wir?" Austin sah ihn überfordert an.
„Na wir eben. Wir alle. Und dann lassen wir es richtig fett krachen. Ich will euch abfüllen."
„Wir trinken keinen Alkohol."
Boris verdrehte die Augen und erwiderte Charlies abweisenden Blick genervt. „Ihr seid alte Spießer!"
„Wir können nichts zu uns nehmen, das kein Blut ist, Boris." Austin legte einen Arm um meinen Cousin. „Wir haben nichts, das Nahrung wie eure verarbeiten könnte. Verdauung läuft bei uns ein bisschen anders."
„Und was passiert mit dem Blut, das ihr trinkt?"
„Das geht direkt ins Herz und wird da in verschiedene Formen von Energie umgewandelt."
Boris legte die Sitrn in Falten. „Welche sollen das sein?"
„Naja, eine davon hält unsere Körper am Leben, eine weitere gibt vielen von uns bestimmte Kräfte, wie ein besseres Gehör oder gute Reflexe, und die andere ist eine Art Geschenk, das man an die richtige Person weiterleiten kann, um eine lebenslange Verbindung zu schaffen. Das nennen wir Gefährtenverbindung."
„Interessant." Boris nickte verstehend, obwohl ich mir sehr sicher war, dass er nichts davon verstanden hatte. Ich sah ihm genau an, wie sein Hirn versuchte, sein Wissen über Anatomie und Biologie mit Austins Erklärung zu verknüpfen. Und wie er scheiterte.
Das Gespräch konnte spannend werden, sobald er die richtigen Fragen fand, und das wollte ich auf keinen Fall verpassen. Das Thema interessierte mich schon von Anfang an und obwohl es mir nicht an Gelegenheiten gemangelt hatte, Kian dazu zu befragen, hatte ich mich immer zurückgehalten. Ich war nicht so direkt wie Boris. Ich dachte viel zu sehr darüber nach, wie diese Fragen rüberkommen konnten und ob ich mich dabei blamieren würde – vor allem vor Kian.
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Erwacht - Blutlust
ParanormalNach Jahrhunderten des Krieges soll nun endlich Frieden herrschen. Als Prinz macht Kian es sich zur Aufgabe, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der sein Volk und die Menschen gewaltlos zusammenleben. Zu seiner Unerfahrenheit und den hartnäc...