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Kian

Um Punkt zehn trafen wir in der Sporthalle ein, Austin und Charlie zu meiner Rechten und Maddy und Anna zu meiner Linken. Luftballons flogen herum, Lichter schossen wild durcheinander, Musik erklang aus großen Boxen und Menschen tummelten sich in Grüppchen, doch Partystimmung – und das wusste sogar ich – war definitiv etwas anderes.

„Ich bin dann mal weg."

Sobald Austin Boris entdecke, vergingen nur noch Sekunden, bis er uns stehenließ und ihm den ganzen Tag hinterher trottete. Zwar sollte er ihn ‚beschatten', aber sich zu seinem Anhängsel zu machen, war dazu nicht von Nöten.

„Lass ihn doch auch mal zu dir kommen", schlug ich vor.

Die Sehnsucht in seinem Blick wurde schlagartig von Resignation abgelöst, als Boris nach einem schlichten Winken weiterging.

„Er hat bestimmt noch was zu tun." Maddy strich Austin tröstend über den Arm. „Der Abend fängt doch gerade erst an."

„Stimmt. Es kann noch viel passieren."

„Von mir aus könnte er gerne schon vorbei sein." Anna war weder davon begeistert gewesen, sich zu verkleiden, noch davon, überhaupt in Gesellschaft zu sein. Nun präsentierte sie sich als stereotypische Vampirin und ließ keine Gelegenheit aus, uns darauf hinzuweisen, dass sie nicht hier sein wollte.

„Der Deal war eine Stunde", erinnerte ich meine beste Freundin. „Dann kannst du gehen, wenn es dir nicht gefällt."

Diese eine Stunde verging. Zwei Stunden vergingen. Drei Stunden vergingen. Die Halle füllte sich mit Gestalten, Boris' Band spielte Musik, die Party kam in Gange und die Leute wurden betrunken. Wir standen noch immer am selben Platz, knapp neben der Tribüne. Anna hatte Spaß daran gefunden, sich über die Betrunkenen lustig zu machen, während Maddy die Kostüme bewunderte und Austin nur betrübt herumstand. Er sah in meinem Prinzengewand plötzlich nicht mehr halb so stolz aus wie zuvor.

Meine Erfahrungswerte mit einem betrübten Austin lagen bei null. Ich warf Charlie einen hilfesuchenden Blick zu, doch der verdeutlichte mir durch seinen kalten Gesichtsausdruck, dass er der letzte sein würde, der sich die Mühe machen würde, Austin aufzumuntern. Und auch von Anna kamen nur genervte Blicke.

Ich fragte mich, ob das an ihrem Alter lag. Ob es das war, was mir bevorstand, wenn ich erstmal ein paar Jahrhunderte hinter mir hatte. Denn das wollte ich nicht. So unangenehm und anstrengend, unpassend oder problematisch Gefühle sein konnten, selbst in dreihundert Jahren würde ich noch bereit sein, alles für meinen besten Freund zu tun, wenn es ihm nicht gut ging. Da war ich mir sicher.

Schnell erkannte ich die vier Mädchen, die zielstrebig auf uns zusteuerten als Chance, Austins Laune zu heben. Sie stützten sich alle gegenseitig und fragten uns unter wildem Gekicher, warum wir nicht tanzten.

„Austin hat darauf gewartet, dass ihm jemand zeigt, wie es geht", antwortete ich mit einem netten Lächeln und schob meinen Freund in ihre Richtung. Ob ich ihm dadurch wirklich einen Gefallen tat, war fraglich. Aber lieber er als ich.

Anna tippte mich an und teilte mir mit, dass sie sich auf den Weg nachhause machte. Ich ließ sie mit einem Nicken ziehen und beobachtete Austin dabei, wie er von den Mädchen auf die Tanzfläche gezogen und angetanzt wurde. Sie grabschten sowohl an ihm als auch an seinem Mantel herum. Nach wenigen Minuten tanzte er mit und trug wieder ein ehrliches Lächeln auf dem Gesicht. Es sah beinahe so aus wie auf einem unserer Bälle, wenn die alten Spießer verschwunden waren und die Feier richtig losging.

Eines nachts, als ich mich aus meinem Gemach geschlichen hatte, um mir etwas zu essen zu holen, hatte ich mir das angesehen. Seitdem war es mir schwergefallen, am offiziellen Ende der Feierlichkeiten in meinen Räumen zu verschwinden und so zu tun, als wüsste ich nicht, was indes im Ballsaal vor sich ging. Austin musste den Spaß seines Lebens gehabt haben, während ich mich in meinen Gedanken und Selbstzweifeln aufgelöst hatte.

„Wollen wir auch tanzen?", Maddy sah fragend zu mir herauf, ihr Blick hoffnungsvoll und der Druck ihrer Hand in meiner bittend.

„Ich kann mir diese Blamage,glaube ich, nicht erlauben."

„Es sind doch eh alle betrunken. Das bekommt keiner mit."

Ich lächelte nur und zog meine Hand aus ihrer. Ich wollte tanzen, ja. Aber nicht jetzt, nicht hier und nicht mit ihr. Ich hatte mir das alles... zivilisierter vorgestellt. Amüsanter. Stattdessen lernte ich, dass es bei dieser Art von Feiern nur zwei Optionen gab: Entweder ganz oder gar nicht. Entweder man war Teil dieser riesen Menge, die der Party Leben einhauchte oder man war komplett außen vor.

Da war ständig diese Angst in mir, etwas falsch zu machen. Das Grübeln über die möglichen Konsequenzen... Es legte mich förmlich lahm.

„Dann gehe ich eben alleine." Maddy warf ihre roten Haare über die Schulter und hüpfte ihren Weg zur Tanzfläche. Sie sah hübsch aus. So frei und leicht, als sie sich der Musik hingab. Ein kurzes, weißes Kleid bedeckte ihren zierlichen Körper, glitzernde Flügel zierten ihren Rücken, ihre Haut schimmernde in der unterschiedlich starken Beleuchtung und ihr strahlendes Lächeln war dazu im Stande, jedem Mann den Verstand zu rauben.

Meine Mutter würde Freudensprünge machen, falls ich mich für sie als Frau entscheiden sollte. Aber, wenn ich mich auf eine Hochzeit einließ, dann wollte ich zu hundert Prozent davon überzeugt sein. Es sollte sich richtig anfühlen. Es sollte richtig sein.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt