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Silas

Für mich gab es nichts Naheliegenderes als eine Party zu veranstalten, um der Integration auf die Sprünge zu helfen. Ich rechnete fest damit, dass auf Feiern alle gut gelaunt waren, mit der richtigen Menge an Alkohol locker wurden und die Offenheit für neue Bekanntschaften stieg. So konnte man Dinge finden, die einen verbanden, statt nur darauf zu achten, was einen unterschied.

Alica stand mir bei der Planung sofort zur Seite, Boris aber zeigte sich zunächst kritisch.

„Glaubt ihr, irgendjemand wird zu einer Integrationsparty auftauchen?"

„Deshalb nennen wir sie ja nicht so."

Anlässe hatten wir genügend. Eine Art Schulstart-Party, bevor wir in den Klausurenphasen des letzten Schuljahres versanken, ein vorgezogener Abistreich, eine „Friedensparty" oder ein namenloses Besäufnis, das keinesfalls weniger Anhänger finden würde. Genau das erklärte ich meinem Cousin. Weder Logik noch Moral überzeugten ihn. Nur der Vorschlag, seine Band in das Programm aufzunehmen. Diese kleine Not-Manipulation identifizierte er sofort.

„Du bist so eine miese kleine Ratte."

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und ich sah Bilder von seinen Auftritten, die sich von seinem Kopf in meinem wiederspiegelten. Ja, ich könnte schwören, seine Vorfreude sogar zu spüren.

„Musik haben wir also schon mal."

Alica, der Inbegriff für Feuer und Flamme, setzte einen Haken auf ihre Liste und schaute mich dann fragend an. „Wie sieht es mit der Location aus? Eine große Halle wäre gut. Es sollten um die hundert Leute reinpassen, am besten noch mehr."

Ich war dankbar um jede Hilfe. Mir fehlte es an Erfahrung in Sachen Partyorganisation. Die letzten Jahre meines Lebens hatte ich ins Stubenhocken investiert. Partys hatten ohnehin ausnahmslos illegal stattgefunden und immer unter der Gefahr, „Vampire" anzulocken.

Früher hatte ich Boris und seine Freunde oft begleitet. Obwohl ich immer der Jüngste dort gewesen war, hatte ich mich gut amüsiert. Ein Teil von mir vermisste diese Zeit. Die Zeit, in der es mein größtes Problem gewesen war, nach dem Tanzen nicht allzu sehr zu müffeln, wenn mein Schwarm sich zu mir stellte und mich durch ein einziges Grinsen vergessen ließ, wie man atmete. Dieser Teil von mir vermisste auch ihn.

„Wir könnten den Schlüssel zur Sporthalle klauen und da Party machen."

„Willst du dir echt noch mehr Ärger mit dem Dauland aufhalsen? Der hat jetzt schon genug von dir."

Alica betrachtete ihren Bruder kritisch. Er war wenige Minuten älter als sie, aber das hatte sie noch nie davon abgehalten, die Rolle der verantwortungsbewussten großen Schwester zu übernehmen.

Bei der Erwähnung unseres Direktors schnaubte Boris. Er konnte ihn mindestens genauso wenig leiden wie ich. Ich sah in ihm einen herrischen Mistkerl, der krampfhaft versuchte, seinen Schülern seine dubiosen Werte und Überzeugungen aufzudrücken. Boris hatte persönlichere Gründe. Dauland hatte oft vergeblich versucht, ihn zu zügeln. Er hatte es mit falschem Verständnis probiert, mit Strafen und Strenge, über Gespräche mit unserer Oma... Aber nichts hatte sich verändert. Bis seine Frustration mittels einer undurchdachten Äußerung überhandgenommen hatte: „Bei einem Kind wie dir kann man als Mutter ja nur krank werden. Dein Vater hätte dir deinen fehlenden Respekt schon vor langer Zeit einprügeln sollen."

Niemand hatte geahnt, wie tief das Boris getroffen hatte. Im Gegensatz zu mir hatte er nicht das Glück gehabt, einen verständnisvollen und einfühlsamen Papa zu haben. Alles, was Onkel Anton in der Lage war an Liebe zu geben, hatte Alica bekommen. Seine Zeit investierte er hauptsächlich in seine Arbeit und die Forschungen, die er betrieb. Das Geld floss in die Behandlung seiner Frau und für Boris waren dann nur noch Aggressionen übrig gewesen und unmöglich zu erfüllende Ansprüche.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt