Silas
Kian und ich liefen gemeinsam die Flure entlang. Wir mussten einmal das Hauptgebäude durchqueren und dann im neuen Anbau den richtigen Kunstsaal finden. Das kostete Zeit. Wir trafen erst nach Beginn der Stunde im Klassenzimmer ein. Der Unterricht hatte aber noch nicht angefangen. Frau Löck entspannte mit ihrem Kaffee am Pult und ließ den Blick über den chaotischen Kurs wandern. Auf meiner Suche nach einem Sitzplatz, erspähte ich nur noch freie Bänke in den vorderen drei Reihen. Unauffällig hinten zu verschwinden würde hier also nicht funktionieren.
Kian trottete mir hinterher und fragte mich, ob er sich zu mir setzen dürfe. Seit wir angekommen waren, war es deutlich ruhiger geworden. Ich wusste um die Blicke meiner Mitschüler auf uns, doch versuche sie zu ignorieren. Genauso wie ihre Gedanken. Ich wollte nicht wissen, was sie davon hielten, dass er sich ausgerechnet mit mir abgab und für wie billig sie mich hielten, weil ich ihn nicht abwies.
„Klar. Aber ich dachte, Charlie soll neben dir sitzen?"
Wir ließen uns zusammen an einem der Tische nieder. Ich ergatterte den begehrten Platz am Fenster. Somit hatte ich zumindest eine Beschäftigung.
„Er hat sich für Musik entschieden. Ich konnte ihn davon überzeugen, nicht zu wechseln, weil Anna auch hier ist."
„Oh. Okay."
Es machte mich nervös, ihm so nah zu sein. Zu wissen, dass wir im Blickfeld unserer Mitschüler saßen und ich mit Kian als Attraktion neben mir nicht in der Masse untergehen konnte. Ich nahm mir vor, nicht zu nah zu ihm aufzurutschen, ihn nicht zu oft anzusehen, ihn nicht einmal anzulächeln. Mich nicht zu verraten. Alle Gedanken um mich herum blendete ich aus. Plötzlich war ich ein normaler Junge, der die falschen Gefühle für den falschen Kerl hatte.
Kian schien sich darum nicht zu scheren oder er bemerkte es schlichtweg nicht. Er sah mich während des Unterrichts lange an und ich traute mich nicht, seinen Blick zu erwidern.
Unser Gespräch in der Pause lieferte mir einiges, über das ich mir den Kopf zerbrechen konnte. Nur weil er momentan nicht daran interessiert war, beliebig mit Mädchen rumzumachen, war immerhin nicht ausgeschlossen, dass er per se kein Interesse daran hatte. Ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen. Bis diese Schwärmerei, und ja, ich gestand mir ein, dass es eine Schwärmerei war, wieder aufhörte, musste ich durchhalten und niemandem zeigen, was in mir vor sich ging.
Nach Schulschluss verabschiedete ich mich mit einem kurzen Gruß von Kian und presste mich noch während der Entlassungsworte der Lehrerin aus dem Klassenzimmer. Nur ungern ließ ich mich von dem Druck der großen Hand auf meiner Schulter von meiner Flucht ins Wochenende abhalten.
Aufgrund der Enge des Flurs rempelte Kian Tom am Vorbeigehen an. So fiel seine Hand von meiner Schulter herab. Mit unzufriedenem Gesichtsausdruck sah Tom Kian hinterher. Er wirkte so als wolle er etwas zu ihm sagen, tat es aber nicht.
Mir fiel auf, dass Kian und Tom etwa gleich groß waren, ich mir vor Kian jedoch nie wesentlich kleiner vorgekommen war.
Innerhalb von Sekunden brach eine Flut von Schülern über den Flur herein. Eine Horde Achtklässler trampelte an uns vorbei und machte eine Unterhaltung bei Zimmerlaustärke unmöglich. Ich deutete Tom an, mir zu folgen und quetschte mich zu einer ruhigen Ecke durch.
„Man könnte echt meinen, wir sind hier im Zoo." Tom schüttelte den Kopf. „Egal. Ich will dir gar nicht viel Zeit von deinem Wochenende klauen. Es ist nur so, dass Amy und ich eine Idee hatten. Wegen des Schlüssels."
Interessiert schossen meine Augenbrauen nach oben. „Und zwar?"
Ein verheißungsvolles Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Nächsten Samstag ist das letzte Training vor dem Turnwettkampf am Sonntag. Am Freitag davor ist ein Elternsprechtag für die Unterstufe. Der Dauland ist immer der letzte, der die Halle verlässt. Wir müssten nur warten, bis er weg ist und sie wieder aufsperren. Falls wir auffliegen, könnten wir es so drehen, als hätte er vergessen, die Halle zuzusperren und somit wäre, alles, was dann passiert ist, in seiner Verantwortung."

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Erwacht - Blutlust
ParanormalNach Jahrhunderten des Krieges soll nun endlich Frieden herrschen. Als Prinz macht Kian es sich zur Aufgabe, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der sein Volk und die Menschen gewaltlos zusammenleben. Zu seiner Unerfahrenheit und den hartnäc...