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Kian

Ich kam mir blind vor. Blind und dumm. Jahrelang hatte ich mich ohne jeglichen Zweifel mit allem zufriedengegeben, was meine Eltern mir gesagt hatten. Die ganze Zeit über hatten sie mir etwas vorgemacht.

Plötzlich war das alles, was mich beschäftigte. Alles, was mich antrieb. Ich hatte den Termin unserer Abreise um eine Woche nach vorne verschoben. Wir würden das Reich also in wenigen Tagen verlassen und fünf Wochen später zurückkehren, mit Antworten und einer Heilung. Alles, was wir dafür noch brauchten, war Kasimir.


Austin begleitete mich. Er bildete sich ein, mich so zu unterstützen. In Wahrheit hielt er mich auf. Seine Kondition war schlecht, er war langsam und er nervte mit seinen ständigen Fragen, ob ich sauer auf ihn sei und ob er etwas für mich tun könne.

Ich war nicht begeistert davon gewesen, ihn mitzunehmen, weil ich wusste, dass das auf der Reise genauso laufen würde. Sofern wir nicht in der Nähe von Wasser blieben, war Austin, so hart das auch klang, unnötiger Ballast. Ganz zu schweigen davon, dass er bei einem Kampf lieber versuchen würde, durch ein paar schlechte Witze Frieden zu schließen als sich ernsthaft zu verteidigen.

Andererseits merkte ich durch die Art, wie er mir auf die Nerven ging, dass ich ihn vermisst hatte.

Mein Vater gab Austin die Schuld dafür, dass es meiner Mutter immer schlechter ging, weil er es nicht hinbekam, sie zu heilen. Er hatte sich zu wenig mit Austin und seiner Kraft auseinandergesetzt, um zu wissen, dass er kein Mittel für alles war. Er konnte nicht mehr tun als meiner Mutter die Schmerzen zu nehmen oder offene Wunden zu schließen.

„Endlich", schnaufte er, als wir oben im Turm ankamen, und lehnte sich an die kalte Steinmauer, während ich kräftig an die Tür klopfte. Mein Blick lag auffordernd auf ihm.

„Oh klar. Kasimir! Der Prinz will Euch mit seiner Anwesenheit beehren!"

Nicht die herkömmliche Art, meine Ankunft zu verkünden, aber es erfüllte seinen Zweck.

Ein Poltern und Krachen ertönte aus dem Inneren des Zimmers.

„Der Prinz! Der Prinz!" Kasimirs Schreie klangen sowohl erfreut als auch panisch.

Austin zeigte sich davon amüsiert. „Wie viele Jahre lebt er jetzt schon da drin? Er muss sicher erstmal aufräumen für diesen hohen Besuch."

Kurz danach sprang die Tür auf und eine knochige Hand zerrte mich in den Raum. Kasimir, ein kleiner Mann, mit gebeugter Haltung und viel zu langen grau melierten Haaren, begutachtete mich.

„Groß", stellte er dabei fest. Dann tippte er an meiner Brust herum, kicherte und sagte: „Stark" und dann deutete er einen Schlag an, den ich reflexartig abfing und setzte zufrieden „Schnell" hinzu.

Ich hatte bereits geahnt, was mich hier erwarten würde. Ein verrückter, vereinsamter, alter Mann. Nur damit, dass er so viel redete hatte ich nicht gerechnet.

„Wir sind hier-"

„Oh, ich weiß warum Ihr hier seid."

Er ließ seinen Blick kurz über Austin wandern und kämpfte damit, ein Lachen unterdrücken. Nach etwa drei Sekunden brach es schallend aus ihm heraus und er stützte sich an einer Säule ab, um sich nicht auf dem Boden zu kugeln.

Auf meinen fragenden Blick hin zuckte Austin ahnungslos mit den Schultern.

Ein weiterer Versuch, mein Anliegen vorzubringen, scheiterte. „Kasimir, ich ersuche-"

„Ihr sucht, aber braucht mich, um zu finden, ja ja." Er nickte wissend. „Aber auf Eurer Reise kann ich euch nicht helfen. Was lebt, verändert sich. Und Leben ist überall."

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt