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Wenn Träume zerplatzen, lösen sich Pläne und Wünsche für die Zukunft plötzlich in Luft auf. Alles, was bleibt, ist die harte Realität und das Gefühl, komplett darin verloren zu sein.

Austin hatte einen Tag gehabt, um über den Beschluss des Königs hinzukommen. Einen Tag, um zu verstehen, dass alles, wonach er sich sehnte, nicht passieren durfte. Dass es verboten. Und dass er nichts dagegen tun konnte.

Der Prinz hatte sich Gedanken gemacht, wie es Austin mit der Situation ging. Er hatte eine Lösung finden wollen, die für alle annehmbar war. Er wusste genauso gut wie Austin, dass Widerstand im besten Falle zwecklos war. Dass es wahrscheinlich alles noch schlimmer machen würde. Also hatte er Austin vorgeschlagen, sich für die nächste Zeit an den Hof zurückzuziehen.

Austin verstand den Sinn, den Kian darin sah. Doch wirklich begreifen wollte er ihn nicht. Er konnte nicht glauben, was passiert war und er wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte. Eines war jedoch klar: Austin hatte einen Freund verloren. Er konnte nicht einmal glauben, dass Charlie überhaupt jemals sein Freund gewesen war. Dass er ihn 10 Jahre zuvor im schlimmsten Zustand gefunden und ihm versprochen hatte, dass alles gut werden würde. Dass Austin ihm geglaubt hatte. Ihn respektiert. Ihm vertraut.

Er hatte einen guten Mann in Charlie gesehen. Einen, der sich immer bemühte, das Richtige zu tun. Der für Sicherheit und Frieden stand. Aber seine Wertschätzung gegenüber allem, was er für ihn getan hatte, verlor sich in dem Schmerz, den er ihm zugefügt hatte. Und so blieb nur Enttäuschung.


Auf Kians Anfrage hin hatte Charlie Austin erlaubt, sich durch ein letztes Treffen von Boris zu verabschieden. Sie trafen sich am Sonntagvormittag im Park und begrüßten einander mit einer innigen Umarmung. Boris fing ohne Umschweife an, darüber zu reden, was er für den Abend geplant hatte. Er wollte in eine Bar gehen und eine Band begutachten, die dort spielen würde. Seine größte Konkurrenz. Spaßeshalber schlug er verschiedene Arten vor, ihren Auftritt zu ruinieren.

Austin bemerkte, dass er distanzierter war als sonst. Einsilbige Antworten, sehnsüchtige Blicke, wenig Körperkontakt. Sein Vorhaben, diese letzten Stunden sorglos mit Boris zu genießen und schöne Erinnerungen zu sammeln, an denen er sich festhalten konnte, war schwerer umzusetzen als gedacht.

Nach weniger als einer halben Stunde fragte Boris ihn, ob alles in Ordnung sei. Er klang besorgt und kam ihm ganz nahe, um ihn zu mustern.

„Geht's dir nicht gut? Oder hast du keine Lust, heute was zu unternehmen? Wir können auch in mein Zimmer gammeln. Dann zerstöre ich Finn und seine dumme Band wann anders."

„Nein, nein, ich habe Lust darauf."

So sehr Austin sich auch darüber freute, dass Boris sich um ihn sorgte, er musste es unterbinden. Das hier sollte ein Abschied sein und keine Möglichkeit, ihm noch näher zu kommen. Austin wollte mit der Überzeugung gehen können, dass alles, was er sich zwischen Boris und ihm eingebildete hatte, wirklich nur das gewesen war – Einbildung. Das würde ein paar Tage wehtun, aber mit der Zeit erträglich werden. Nicht so wie die Vorstellung, seinen Gefährten verlassen zu müssen, weil ein anderer ihn fälschlicherweise für sein erklärt hatte.

„Du bist komisch heute. Irgendwas stimmt doch nicht."

Austin kannte Boris gut. Er wusste, dass er so lange Vermutungen aufstellen würde, bis er ins Schwarze traf und Austin sich durch seine Reaktion darauf verriet. Boris hatte ein Gespür für sowas. Und das Letzte, was Austin wollte, war diesen Abend mit unschönen Ratespielchen zu verbringen.

„Ich werde es dir später erzählen, okay?"

„Nein, nicht okay", Boris hielt seine Hand fest und blieb stehen. Er wirkte aufgebracht. „Du weißt doch, wie sehr mich sowas beschäftigt."

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt