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Kian

Ich atmete tief durch, als ich die Tür zu Silas' Zimmer hinter mir schloss, zitterte und versuchte zu begreifen, dass ich es getan hatte. Silas meine Gefühle bewusstgemacht. Oder ihm bewusstgemacht, dass da überhaupt Gefühle waren. Ich hatte getan, was ich gelernt hatte, bei ihm zu tun. Loslassen. Reden ohne nachzudenken. Mich öffnen. Dadurch hatte ich erkannt, dass wir alles teilten. Zweifel, Sorgen, Ängste. Und, dass es so viel leichter war, diese auszuhalten, durchzustehen und vielleicht sogar zu bekämpfen, wenn wir es gemeinsam taten.


Edith stand in der Küche und summte vor sich hin. Sie lächelte mich an, als ich zu ihr kam, fragte mich aber sofort, wo ich Silas gelassen hätte.

„Er ist noch in seinem Zimmer. Er braucht ein bisschen Zeit für sich."

Sie lächelte. „Schön, dass du darauf Rücksicht nimmst."

„Natürlich. Ich will, dass es ihm gut geht."

„Es geht ihm gut, seit ihr so viel miteinander zu tun habt. Oder zumindest besser."

Edith hatte recht. In der Schule schien Silas sich immer weniger zu isolieren, schlechte Tage waren zur Seltenheit geworden und er redete mehr, zumindest mit mir. Das mochte ich. Ich konnte ihm stundenlang zuhören, wenn wir telefonierten, dabei in meinem Bett liegen, grinsend an die Wand starren und seiner Stimme lauschen. Dann gab es keine Termine mehr oder Verpflichtungen. Kein Davor und Danach. Nur ihn, seine Stimme und seine Worte.

„Es war nicht leicht für ihn die letzten Jahre. Aber er ist ein Kämpfer und ich denke, er hat jemanden gebraucht, der ihm zeigt, dass sich dieses kämpfen lohnt."

Mein Blick fiel auf den Boden. „Er ist mir wichtig."

Meine leisen Worte klangen nach einer vorläufigen Entschuldigung für alles, was meinetwegen auf ihn zukommen würde und Edith wusste das.

„Dann pass gut auf ihn auf."

Sie streckte mir die Schüssel mit der übrig gebliebenen Cremefüllung hin und wünschte mir einen guten Appetit. Ich wollte sie darauf hinweisen, dass ich als Erwachter nichts essen durfte, doch sie verließ bereits mit der Torte die Küche und ließ mich überfordert dort zurück.

Ich sah von der Stelle, an der sie verschwunden war, zu der Schüssel in meiner Hand und wieder zurück, versicherte mich, dass ich allein war und begann zu naschen. Diese Creme war das Beste, was ich jemals gekostet hatte. Mir kam der Gedanke, dass nur Silas' Blut diesen Geschmack übertrumpfen könnte, doch sofort schüttelte ich den Kopf, um ihn wieder aus meinem Hirn zu vertreiben. Ich würde nicht von ihm trinken. Niemals. 

Die Handschuhe waren eine gute Lösung, um ihn zu schützen, ohne um jeden Zentimeter Distanz kämpfen zu müssen. Jetzt hing es nur noch von meiner Kontrolle ab.


Als Silas dazukam, hatte ich die Schüssel, aus der ich die Creme gefuttert hatte, gewaschen und abgetrocknet. Ich musste demnächst los, daher hatte ich nicht mehr viel Zeit mit ihm. Trotzdem freute ich mich, dass er überhaupt wieder aus seinem Zimmer gekommen war.

Gleichzeitig fragte ich mich, wie ich ihm nun gegenübertreten sollte. War eine Entschuldigung angebracht? Es tat mir nicht leid, mit ihm darüber gesprochen zu haben. Und es tat mir nicht leid, dass ich ihn gernhatte. Alles, was ich bedauerte, war, es ihm nicht leichter machen zu können.

Er ließ mir keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich tun oder sagen sollte. Schnell, entschlossen kam er zu mir. Er umarmte mich. Seine Arme um meinen Torso und seine Wange an meiner Brust. Und ich umarmte ihn. Strich langsam mit den Händen über seinen Rücken, ging einen kleinen Schritt näher zu ihm und drückte ihn behutsam an mich.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt