10

779 77 21
                                    

Kian

Als ich gehört hatte, dass ich für dieses Semester im Sportkurs Fußball eingeteilt war, hatte ich es kaum erwarten können, ein Spiel mit mehr als fünf Personen zu spielen, das nicht nach zwei Minuten abgebrochen wurde, weil die Beteiligten keine Lust mehr hatten. Der Lehrer hatte jedoch beschlossen, dass das Risiko zu groß sei, wenn wir mitspielten und Charlie hatte mich davon abgehalten, ihm zu erklären, dass seine Sorgen nicht berechtigt waren.

Ich saß also unzufrieden, ja vielleicht sogar beleidigt, am Rande des Sportplatzes herum. Austin lag neben mir, summte eine Melodie und zupfte einzelne Grashalme aus der Wiese, um sie in die Luft zu werfen und sich anzusehen, wie sie zurück auf den Boden flogen. Er hatte gestern wie verlangt den Termin für mich vereinbart und dann in meinem Gemach auf mich gewartet. Der Schneider würde mir eine neue Korsettweste und einen passenden Umhang dazu anfertigen, nachdem er die dazu benötigten Maße genommen hatte.

Austin hatte mich gefragt, ob er meinen alten Mantel behalten dürfte. Der sei so warm und flauschig. Seitdem war es für ihn nicht Frage gekommen, ihn zuhause nicht anzuhaben. Darüber, dass er nichts darunter trug, musste ich bei passender Gelegenheit dringend mit ihm reden. Die arme Maddy war aus allen Wolken gefallen, als sie Austin in voller Pracht gesehen hatte. Wer wusste, ob sie sich von diesem Schock jemals erholen würde.

„Wenn wir gewusst hätten, dass wir nicht mitmachen dürfen, hätten wir erst um halb zehn kommen können. Zwei Stunden mehr Schlaf!", grummelte er vor sich hin.

Ich brummte einen zustimmenden Laut. Sogar sinnlos in meinem Bett herumzuliegen war besser als das. Es war beinahe demütigend, hier sitzen und zusehen zu müssen, während die anderen spielten.

Die gemeinsame Verfassung sollte als politische Basis für unseren Umgang miteinander dienen. Dann standen regionale und wirtschaftliche Diskurse auf dem Plan meines Vaters. Das hatte Vorrang. Erst danach würde ich damit rechnen können, dass er sich meinen Vorschlag über großflächige Aufklärungskampagnen überhaupt anhörte.

Oft fragte ich mich, womit sich andere in meinem Alter beschäftigten.

Was treibt sie an?

Was sind ihre Probleme?

Gehört dieses Gefühl des Eingeengtseins dazu oder bin ich der einzige, der das empfindet?

Habe ich überhaupt ein Recht so zu fühlen?

Es kam mir undankbar vor, die Menschen darum zu beneiden, nicht in meiner Haut zu stecken. Ich fühlte mich schuldig, weil ich hatte, wovon andere nur träumen konnten, aber es mich nicht zufriedenstellte. Weil ich mir von klein auf jeden Tag anhörte, wer ich sein sollte, doch wusste, dass ich, so sehr ich mich auch bemühte, niemals zu dieser Person werden würde. Alles, was ich tat, war eine Rolle zu spielen. Meine Eltern gaben mir das Skript, Charlie stellte sicher, dass ich mich daran hielt, und alle anderen ließen sich unterhalten und bewerteten meine Performance.

Nachdem der Lehrer das Fußballspiel pausiert hatte, saßen die meisten meiner Mitschüler saßen im Gras, tranken etwas und unterhielten sich dabei. Nur Silas und Boris rannten noch über den Rasen.

„Hey, ihr zwei! Wie wäre es, wenn ihr aufhört, euch wie hyperaktive Affen zu benehmen, mh?"

Sie stoppten, signalisierten dem Lehrer durch ihr Nicken ihr Einverständnis und schlenderten aufeinander zu. Silas lachte über die Flecken auf Boris' Hose und dieser schubste ihn dafür an der Brust zurück. Es kam einer seltsamen Art der Meditation gleich, den beiden zuzusehen. Ihr Umgang wirkte zwar nicht immer harmonisch, aber dafür umso vertrauter.

Eine Berührung an meinem Arm zog mich weg von dem Ort, an dem es okay gewesen war, selbst Teil des Publikums zu sein.

„Ich habe dir gesagt, wir müssen bei Silas achtgeben. Er könnte gefährlich sein."

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt