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Kian

Im Laufe meines Lebens hatte mein Vater mir viele Lektionen erteilt. Er hatte mir beigebracht, dass Ehrlichkeit eine Schlucht war; Der Glaube, es sei eine Tugend, die ständige Drohung, uns in den Abgrund zu reißen; Lügen, der sichere Weg zum Fall; Und das Leben als König der Balanceakt auf einem schmalen Seil darüber.

Ich hatte Silas eine Version der Wahrheit mitgeteilt, die für alle tragbar war. Der einzige Grund für ihn zu wissen, was passiert war, wäre, um sich vor mir schützen zu können. Doch das war nicht nötig, denn ich achtete darauf, ihm nicht nahe zu kommen, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Ich hatte ihn ihm etwas gefunden. Etwas Schönes. Etwas Einzigartiges. Etwas, das ich um jeden Preis schützen wollte.

Anfangs redete er noch mit mir, fragte mich, ob ich mich in der Pause bei den Treppen mit ihm treffen wollte, bot mir Schokoriegel an und kam sogar wegen meines Vortrags auf mich zu. Ich hätte seine Unterstützung zweifelsohne brauchen können und ich hatte zusagen wollen und gewusst, vielleicht sollte ich das sogar. Es sprach immerhin nichts dagegen, unverbindlich Zeit mit ihm zu verbringen und davon auch noch zu profitieren. Mein Auftrag, ihn im Auge zu behalten, verpflichtete mich sogar dazu. Doch meine Angst, ihn erneut meiner fehlenden Selbstkontrolle auszusetzen, überwog.


Über einen Zeitraum von drei Wochen hinweg ließen seine Versuche, auf mich zuzugehen nach. Solange, bis gar keine mehr kamen. Wenn wir in Kunst nebeneinandersaßen, schob er mir ein lockeres "Hi" zu und zur Verabschiedung nickte er wortlos. Gespräche waren zur Seltenheit geworden.

Oliver war vor wenigen Tagen von seiner Reise zu den Druiden zurückgekehrt und hatte meinem Vater berichtet, dass sie nicht aufzufinden waren. Die Wachen waren ebenfalls verschwunden und es sah so aus als sei das schon eine ganze Weile so. Wir konnten uns nicht erklären, was passiert war und das reizte meinen Vater.

Er hatte mehrere Truppen zu weiteren Standorten der Druiden ausgesandt. Dieser Weg war weder kurz noch ungefährlich und so konnten wir nichts anderes tun als zu warten.

Wenn ich nicht gerade in der Schule war, grübelte ich mit Charlie und meinen Eltern über mögliche Erklärungen und weitere Schritte. Als vollwertiges Mitglied der Kommissionen waren Freizeit und Schlaf zu einem Luxus geworden, den ich mir nicht mehr leisten konnte.

Meine Mutter deshalb oft zu sehen war ein gewisser Trost, aber richtig miteinander reden konnten wir kaum. Immer ging es nur um Kriege, Verträge oder Strategien.

Mit jedem vergehenden Tag nahm auch Charlie an Gereiztheit zu. Was ihn wohl am meisten störte, war Austins anhaltende Sorglosigkeit. Das Verschwinden der Druiden war keine Kleinigkeit, die man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Falls sie freiwillig gegangen waren, hatten sie nicht nur unsere Wächter korrumpiert, sondern sie waren quasi vor uns geflohen und führten mit Sicherheit etwas im Schilde. In diesem Falle drohte bereits große Gefahr. Falls nicht, mussten wir mit einem unbekannten Gegner rechnen, dessen Macht die der stärksten und weisesten Menschen der Welt überstieg. Das war ein berechtigter Grund für d schlaflose Nächte.

Austin verbrachte die meiste Zeit mit Boris oder anderen Menschen. Er hatte sich integriert. Auch Maddy hatte eine Gruppe gefunden, in die sie gut hineinpasste. Boris hatte sie als Kifferpazifisten bezeichnet. Wohl Leute, die ständig gut drauf waren und hin und wieder den ein oder anderen Joint zu viel hatten.

Für Austin und Maddy war es leicht, nach einer kleinen Aufwärmphase Freunde zu machen. Charlie und Anna waren bei Fremden zu misstrauisch. Niemand, der sie nicht bereits kannte, würde freiwillig auf sie zugehen. Und ich litt an mangelnder Sozialkompetenz. Es war nicht so als hätte niemand versucht, Kontakt zu mir zu knüpfen. Ich hatte nur so viel im Kopf, dass ich nie die passenden Worte finden konnte und so alle vergraulte.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt