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Kian

Seine Augen waren geschlossen, sein Mund leicht geöffnet und sein Gesicht bedeckt mit Haaren. Ich wollte mich zu ihm knien und herausfinden, was los war. Sicherstellen, dass es ihm gut ging. Gleichzeitig hatte ich Angst davor, ihn zu berühren. Angst davor, wieder dieses Verlangen zu spüren.

Wenn ich jetzt von ihm trinke, hier, wo niemand ist und Austin danach die Bissstelle heilt, wird es keine Konsequenzen für mich haben. Es wäre so leicht.

Ich konnte nicht fassen, auf welche Ideen mich sein Geruch gebracht hatte. Wie schnell sich dieser Plan geformt hatte und wie schwer es war, dem Drang, ihn auszuführen zu widerstehen.

Der Klang seines Herzschlages hallte in meinem Bewusstsein nach. Er drängte mich zu ihm. Er verlangte nach mir. Er machte ihn zum Mittelpunkt meiner Welt. Zur Quelle all meiner Gefühle und Gedanken.

„Kian?!"

Silas hatte gewusst, was ich vorgehabt hatte. Keine Ahnung wie, aber er hatte es gewusst. Und er hatte die Kraft gefunden, mich davon abzuhalten. Eine Kraft, die ein simpler, so unscheinbarer Mensch, nicht haben sollte. Eine Kraft, die er nicht haben konnte.

„Was ist passiert?"

Charlie erreichte mich, Sekunden, Minuten, oder vielleicht auch Stunden, nachdem er meinen Namen gerufen hatte.

„Ich habe... Ich wollte... Ich hätte ihn fast gebissen." Ich sprach leise, so leise, dass jeder andere kein Wort meines Stammelns verstanden hätte. Charlie dagegen hörte genau, was ich sagte, er hörte den Unglauben in meiner Stimme und das leichte Zittern und er verstand sowohl meine Worte als auch die Bedeutung dahinter.

Sein Blick glitt runter zu Silas und dann wieder zu mir. Knapp neben Silas ging er in die Hocke und tastete nach seinem Puls. „Ich rieche kein Blut. Er scheint nicht verletzt zu sein."

„Er hat mich davon abgehalten." Selbst, es auszusprechen half nicht dabei, es besser zu verstehen. „Er hat mich weggestoßen und dann ist er umgefallen. I-ich habe keine Ahnung, was los ist. Er war ziemlich betrunken."

Im Gegensatz zu mir redete Charlie nicht. Er handelte. Ich beobachtete ihn dabei, wie er Silas hochnahm und suchte nach einem Anzeichen, dass auch er von ihm trinken wollen würde. Ich machte mich bereit, ihn davon abzuhalten. Silas zu schützen. Obwohl ich doch derjenige gewesen war, der bis vor wenigen Momenten noch mit sich gehadert hatte, seine Wehrlosigkeit auszunutzen.

„Wir haben uns berührt, an den Händen. Und dann konnte ich ihn riechen und seinen Herzschlag hören und ich wollte ihn beißen."

„Wir werden rausfinden, was es damit auf sich hat. Aber bis wir zuhause sind, musst du dich zusammenreißen. Gerader Rücken, Schultern nach hinten, Kinn nach oben. Und wisch dir das Blut weg."

Charlie zog auffordernd die Augenbrauen hoch.

Er hatte recht. Ich war ein Prinz, kein verwirrter, kleiner Junge. Für einen Moment hatte ich das vergessen. Meine Haltung erinnerte mich daran, was ich ausstrahlen musste. Dabei war es vollkommen egal, was wirklich in mir vor sich ging. Es zählte nur, wie gut ich dazu im Stande war, es zu vertuschen. Genau darum ging es jetzt. Niemand und wirklich niemand durfte erfahren, was hier passiert war.

Auf unserer Suche nach Boris oder Alica schritten wir weitestgehend unbemerkt durch die Halle. Die wenigen, die uns Beachtung schenken, wichen mit verwirrten Blicken zurück.

Selbstbewusstsein ausstahlen. Sicherheit. Keine Scham oder Reue.

Ich wusste ja, wie das aussah. Zwei Erwachte und in ihren Armen ein bewusstloser Mensch. Aber genauso gut wusste ich, dass es niemand wagen würde, Anschuldigungen gegen uns zu erheben ohne einen handfesten Beweis vorlegen zu können.

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt