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Austins Stimmungsverlauf in dieser Nacht kam einer Achterbahnfahrt gleich. Es ging auf und ab, auf und ab, auf und ab, er wurde herumgeschleudert, versuchte sich festzuhalten, spürte den Nervenkitzel und die Gefahr, doch warf schreiend die Hände in die Luft und ließ sich mitreißen.

Es war leicht gewesen, Boris ausfindig zu machen, als er noch auf der Bühne gestanden und musiziert hatte. Austin hätte ihm stundenlang zusehen können. Um genau zu sein, hatte er genau das getan. Nun lief eine Playlist aktueller Lieder und er scannte die Halle vergeblich nach Boris ab, während er zwischen seinen Tanzpartnerinnen auf der Tribüne saß. Boris' komplett schwarze Kleidung und die geringe Körpergröße machten es unmöglich, ihn in dem dichten Menschennebel zu entdecken. Austin verfluchte die sich bewegende Masse und die schlechte Beleuchtung. Er konnte Boris erst wieder ins Auge fassen, als er direkt vor ihm stand.

„Da bist du ja." Boris drängte eins der Mädchen zur Seite, um neben Austin Platz zu nehmen und grinste ihn schelmisch an. Plötzlich war da nur noch er. Sein Lächeln, seine braunen Augen, sein Duft nach einer Mischung aus zu viel Parfüm und einer Note Schweiß.

„Da bin ich", antwortete Austin schmunzelnd. „Ich habe dich auch schon gesucht."

Boris grinste und nickte mit einer Kopfbewegung zum Ausgang der Halle. „Komm, lass uns abhauen."

Bevor Austin zu einer Antwort ansetzen konnte, legte eines der Mädchen ihren Arm um Boris' Schultern und schrie ihm zu, wie gut er gesungen habe.

„Danke, danke, Becky. Aber du hast doch schon ein Autogramm von mir."

Das Mädchen, Becky, kicherte und lehnte sich über Boris' Schoß, um Austin zuzubrüllen: „Er hat mal auf meinen Brüsten unterschrieben! Willst du ein Bild sehen?"

Austin war nicht oft sprachlos. Um genau zu sein, nie. Nun, jedoch, wusste er nicht, was er sagen sollte. Alles, was ihm einfiel, konnte nur unhöflich und sogar gemein rüberkommen. Also entschied er sich dazu, zur Abwechslung einmal den Mund zu halten und schaute sich das Foto von Boris' Unterschrift auf Beckys Dekolleté mit einem aufgesetzten Lächeln an.

„Zeig das doch nicht jedem." Boris hielt seine Hand vor den Bildschirm von Beckys Handy. „Damit musst du warten, bis ich berühmt bin."

„Stimmt!" Becky steckte ihr Handy wieder weg. „Wisst ihr eigentlich, von wem die Party organisiert wurde? Alle machen ein riesen Geheimnis daraus."

Austin zuckte mit den Schultern, während Boris meinte: „Ist im Endeffekt doch egal, solange wir eine coole Zeit haben können."

„Aber grade du müsstest es doch wissen. Wer hat dich denn gefragt, ob die Band spielt?

„Niemand, ich habe das einfach beschlossen."

„Typisch", lachte Becky. Danach wandte sie sich an ihre Freundinnen. „Also Boris hat auch keine Ahnung."

„Zeit zu verschwinden", hauchte Boris Austin sofort zu, nahm ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her.


„Hat dir die Musik gefallen?" Boris hielt Austin die Tür auf und sah ihn neugierig an. Austin nickte und drehte sich zu ihm, um dabei zuzusehen, wie er ihm folgte.

Bereits letzte Woche hatte Boris Austin einen staubigen Abstellraum auf dem Dachboden des Gebäudes gezeigt. Da sich dort keine Lehrräume befanden, war der Zutritt für Schüler untersagt. Aber, um Boris aufzuhalten, brauchte es schon etwas mehr als eine einfache Vorschrift.

„Ich fand sie gut. Ich glaube, ein Lied hat sogar ein paar Erinnerungen wachgerüttelt."

„Echt? Welches?"

Erwacht - BlutlustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt