Kian
Die Ratssitzung war lange vorbei, als ich am Hof ankam. Charlie klärte mich darüber auf, dass August mein Fehlen genutzt hatte, um sich in den Fokus zu drängen. Die meisten der Anwesenden hätten sich davon jedoch unbeeindruckt gezeigt.
„Seine Position wird mit jedem Versuch, deine zu schwächen, immer unsicherer. So sehr mich das auch überrascht, der Rat steht großenteils geschlossen hinter dir."
„Wow."
Ich konnte es nicht glauben. August versuchte mit allen Mitteln an meinem Thron zu sägen und alles, was er dadurch erreicht hatte, war, mir die Möglichkeit zu geben zu glänzen.
„Ich befürchte nur, damit ist es nicht getan. August wird das nicht auf sich sitzen lassen."
„Es ist ja wohl nicht meine Schuld, was er da abzieht."
Charlie nickte und beugte sich etwas zu mir. Wir standen mitten auf dem Flur, knapp neben dem Eingangstor des Palastes. Zwei Wachen waren jeweils von innen und von außen daran positioniert. Sonst hielt sich nie jemand in diesem Bereich lange auf, weil Ethan immer sofort zur Stelle war, um Gäste zu empfangen und dorthin zu bringen, wo sie erwartet wurden. Dass Charlie es dennoch für nötig hielt zu flüstern, beunruhigte mich.
„Ich weiß und viele andere wissen das auch. Aber ich kenne ihn jetzt schon seit einigen Jahrhunderten und kann dir sagen, dass er kein guter Verlierer ist."
„Genau das ist das Problem", zischte ich ihm zu. „Es geht hier nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Etwas geht darum, das zu erreichen, was am besten für uns und die Menschen ist. Er will nur, dass alles nach seiner Nase läuft. Deshalb hat er doch so darauf gedrängt, überhaupt einen Rat zu gründen."
„Die andere Option, ein klein wenig Macht zu kosten, wäre gewesen, deinen Vater zu stürzen. Aber daran sind schon Leute gescheitert, die deutlich bessere Chancen hatten. Er wusste das. Und er hat gehofft, du seist leichter anzugreifen als er." Er klopfte mir auf die Schulter und richtete sich wieder auf. „Du schlägst dich wirklich gut. Aber sowas wie heute, darf nicht einreißen, in Ordnung? Das ist gefundenes Fressen für August und seine Anhänger. Er hat versucht, allen weiszumachen, dass du wahrscheinlich grade auf einer Schulparty bist und Menschenmädchen deine Zunge in den Rachen schiebst."
„Bah!"
„Ungefähr das war auch meine Reaktion."
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Charlie mir nach unserem Telefonat so ruhig begegnen würde. Mindestens einen kleinen Vorwurf hatte ich erwartet, weil ich so spontan abgesagt hatte. Oder dass er von mir eine detaillierte Erklärung verlangte. Aber nichts davon kam.
„In einer halben Stunde versammelt sich der Innere Kreis. Bis dahin solltest du mit deinen Eltern gesprochen haben. Ich gehe in der Zeit nach Austin sehen."
Mit einem kurzen Winken verabschiedete er sich in die Richtung von Austins Gemach. Ich wusste nicht, warum es mich so überraschte, dass Charlie sich nach ihm erkundigen wollte. Austin war immerhin auch sein Freund gewesen. Wenn Charlie sich bemühte, würden sich die Wogen mit ein wenig Zeit vielleicht wieder glätten. Mit nur ein wenig Zeit.
Auf meinem Weg zum Thronsaal rief ich mir in Erinnerung, was ich gelernt hatte: Gerader Rücken, Schultern nach hinten, Kinn nach oben. Nicht stottern, nicht zittern, nicht zu schnell sprechen und nicht zu leise. Überzeugt und selbstbewusst auftreten. Keine Schwäche zeigen. Keine Angriffsfläche bieten.
Ethan erzählte mir irgendetwas. Ich konnte ihm nicht folgen. Zu sehr beschäftigte mich meine innere Vorbereitung, meinem Vater zu begegnen.
Bevor ich Ethan durch ein Nicken verdeutlichte, dass er die Tür zum Thronsaal öffnen und meine Ankunft verkünden durfte, nahm ich einen tiefen Atemzug. Nicht mehr. Ich gab mir keine Möglichkeit, ins Zweifeln zu kommen und bot meinem Kopf keine Chance, sich vernichtende Szenarien auszumalen. Es waren meine Eltern, denen ich gegenübertreten sollte. Die Leute, aus deren Liebe ich hervorgegangen war. Ich hatte nichts zu befürchten.
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Erwacht - Blutlust
ParanormalNach Jahrhunderten des Krieges soll nun endlich Frieden herrschen. Als Prinz macht Kian es sich zur Aufgabe, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der sein Volk und die Menschen gewaltlos zusammenleben. Zu seiner Unerfahrenheit und den hartnäc...