Silas
Es stellte sich heraus, dass Kian und seine Begleiter die größte Villa der Stadt bezogen hatten. Als Amelie und ich früher auf dem Weg zum Spielplatz daran vorbeigelaufen waren, hatten wir uns ausgemalt, welche Adligen wohl heimlich darin residierten, während sie angeblich leerstand. Kian erzählte mir, das Grundstück sei bereits vor Jahrhunderten im Besitz seiner Eltern gewesen, schon bevor die Stadt als solche existiert hatte.
Als wir das Haus betraten, fiel mir sofort auf, wie leer es war. Wenn wir redeten, prallten Echos an den Wänden ab und von Dekorationen, Bildern oder irgendwas, das nach Zuhause schrie, war keine Spur.
„Ich finde es total übertrieben, aber so sitzen wir wenigstens nicht alle ständig aufeinander", meinte Kian.
Ich folgte ihm in die Küche und stellte die vier Pizzakartons auf einem Tisch ab, während er für Teller und Besteck sorgte.
Aus dem Nichts fing er an zu lachen.
„Was?", fragte ich verwirrt.
„Mir fällt gerade auf, dass ich bisher noch nie für zwei gedeckt habe. Ist seltsam."
„Musst du als Prinz denn selbst decken?"
„Im Palast bei meinen Eltern natürlich nicht. Da ist alles ziemlich streng. Aber Charlie, Anna, Maddy und Austin sind ja nicht meine Bediensteten."
Während ich mich verloren umsah, ging er an mir vorbei. Ich konnte nicht darauf achten, was er machte, weil ich so sehr damit beschäftigt war, etwas zu finden, das so aussah, als sei diese Villa nicht nur eine kurzfristige Übergangslösung. Erst, als er mich fragte, ob ich mich setzen wolle, fiel mir auf, dass er einen Stuhl rausgeschoben hatte und drauf wartete, ihn mir zurechtzurücken.
„Danke."
Lächelnd wich ich seinem Blick aus, setzte mich und betete zu allen potenziell existierenden höheren Mächten, dass ich gerade nicht rot angelaufen war.
Um mich von meinem Tomatengesicht abzulenken, erkläre Kian, womit die Pizzen belegt waren und mit welcher ich anfangen würde. Er hörte interessiert zu und obwohl ich bei meinen Ausführungen auf das Essen vor uns deutete, war sein Blick nur auf mich gerichtet.
„Meine erste Pizza. Ich bin irgendwie aufgeregt."
Ich lachte, während ich mir ein Stück nahm und ihn durch meinen Blick dazu aufforderte, sich ebenfalls zu bedienen. „Dieses historische Ereignis sollten wir fast schon auf Video festhalten."
„Jetzt, wo Charlie nicht da ist, könnten wir das wirklich. Ganz heimlich." Er grinste mich schelmisch an und obwohl ich wusste, dass er es nicht ernst gemeint hatte, zückte ich mein Handy, startete die Kamera und richtete sie auf ihn.
„Und action!"
„Haha, sehr witzig!" Er verdrehte grinsend die Augen. „Also ich esse das jetzt mit den Fingern, oder?"
Ich nickte, hielt mit einer Hand mein Handy und nahm mir mit der anderen mein Pizzastück, um davon abzubeißen. So litt zwar meine Kameraführung, aber wenigstens wurde mein Hunger endlich gestillt.
Kian beobachtete mich und machte mich nach.
„Okay, sie ist nicht mehr warm und knusprig auch nicht mehr. Aber man kann es essen."
„Machst du Witze?" Kians Augen waren weit aufgerissen, seine Wangen gefüllt mit dreiviertel von seinem Stück und seine Lippen bedeckt mit Tomatensoße und Mehl. „Das ist genial!"
„Muss schon echt was heißen, wenn er da plötzlich seine Manieren vergisst."
„Oh verdammt!" Er schluckte einen viel zu großen Bissen herunter, bevor er sich hektisch entschuldigte.

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Erwacht - Blutlust
ParanormalNach Jahrhunderten des Krieges soll nun endlich Frieden herrschen. Als Prinz macht Kian es sich zur Aufgabe, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der sein Volk und die Menschen gewaltlos zusammenleben. Zu seiner Unerfahrenheit und den hartnäc...