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Vorwort

„Mister Kaiba, in knapp zwanzig Minuten haben Sie das nächste Meeting.", erinnerte mich mein Sekretär. „Vielen Dank Roland. Sagen Sie ihm, dass es sich um zehn Minuten verschieben wird. Wenn er etwas so dringend von mir haben wollte, dann hatte er sich ruhig etwas in Geduld zu üben.", erklärte ich mit Nachdruck und stand von meinem Schreibtischstuhl auf. „In Ordnung.", sagte Roland und verschwand nach einer Verbeugung aus meinem Büro.

Mittlerweile leitete ich die Kaiba Corporation schon mehr als zehn Jahre und immer noch war Roland der Mann, dem ich am meisten vertraute. Neben meinem Bruder verstand sich. Mokuba war auch nach all den Jahren immer noch meine rechte Hand. Doch heute war er anderweitig beschäftigt, sodass ich den nächsten eventuellen Geschäftspartner alleine abwickeln musste. Und das ausgerechnet heute. 

Ich betrachtete das Bild auf meinem Schreibtisch und musste unwiderruflich lächeln. Jedes Mal wenn ich dieses Bild sah glitten meine Gedanken um Jahre zurück. Zurück an jenen Tag, an dem vom meinem Stiefvater noch die Hand über mich hatte und mich zu etwas drängte, was mich damals überhaupt nicht begeisterte.

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„Und wieso soll ausgerechnet ich diese Akademie besuchen?", fragte ich meinen Stiefvater bei einem unserer immer seltener geworden gemeinsamen Frühstücksessen. Er beharrte, trotz all oder gerade wegen seiner Grausamkeit, dass wir zu den Essenszeiten immer noch einen auf heile und glückliche Familie machten.
„Weil ich es von dir verlange. Und da du als mein Erbe auch diese Pflichten so langsam übernehmen könntest und auch ab sofort wirst. Haben wir uns dahingehend verstanden?", erklärte mein Stiefvater in seinem typischen herablassenden Ton. „Und?", fragte ich weiter und zog dabei eine Augenbraue nach oben. Mokuba, mein kleiner Bruder, der zwischen uns am Tisch saß, sah nervös zwischen uns beiden hin und her. Oft genug hatte er diese Spannung am Tisch mitbekommen und wusste, wie sie sich entladen konnte. Und zwar oft genug mit einer Niederlage für mich.

„Nichts und, du undankbarer Bengel! Du wirst die Schule besuchen, dich herum führen lassen und dann der Schule eine Spende in einer von dir genannten Höhe zusagen. Diese wird dann bei der Halbjahresabschluss-Aufführung von mir überreicht. Also enttäusche mich nicht schon wieder.", erklärte Gozaburo. „Wie komm ich denn zu der Ehre, eine Spende festlegen zu dürfen?", fragte ich spitz nach. Nachdem er mir das Ultimatum mit den zehn Millionen Dollar gesetzt hatte und ich gerade kurz davor stand, nach nicht einmal fünf Wochen, es erfüllt zu haben, hatte mich mein Stiefvater nicht weiter bei etwas eingebunden. „Das ist eine weitere Lektion für dich. Als Geschäftsmann muss man sich eben auch an Spenden beteiligen. Und diese Akademie fördert Künste in allen Bereichen. Aber vor allem in der Musik. Was dir ebenfalls gut getan hätte, ein wenig Klavier zu lernen. Ein gebildeter Mann, zu dem ich vergeblich versucht habe dich zu erziehen, muss in vielen Bereichen des Lebens gebildet sein.", ritt er nun auf einem weiteren Versagenspunkt von mir herum. Ich war durch und durch unmusikalisch und das wusste er. Auch in der Kunst des Zeichnen war ich eine Niete. Was mir wirklich lag, war das Jonglieren mit Zahlen und ein Händchen für Kartenspiele. Aber das waren keine Künste in seinen Augen.
Wenn mein Stiefvater etwas konnte, dann die Schwächen seines Gegenüber ausnutzen und das tat er nur zu gerne. Er rieb es mir ständig unter die Nase, dass er umsonst Geld für mich ausgegeben hatte, weil ich mir partout keine Klangfolge merken konnte.

„Und was soll die Lektion darin sein?", fragte ich, bemüht nicht ganz abwertend zu klingen. „Das, mein Sohn, wirst du schön selber heraus finden. Morgen um zehn beginnen die Proben des Chores. Ich empfehle dir, dabei zu sein.", und mit diesem Spruch waren mein Bruder und ich für diesen Tag entlassen. Ein Glück war es, dass wir unseren Stiefvater nur zu gewissen Zeiten des Tages ertragen mussten.

„Seto, diese Akademie von der unser Stiefvater gesprochen hat, hat die etwas mit meiner Privatschule zu tun?", fragte mich Mokuba, als wir in meinem Zimmer saßen und auf Leichter warteten. Er war für das Jahr des Ultimatums mein Berater geworden.

Das Herz des Seto KaibasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt