Gedankenverloren durch die Wüste

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Gemeinsam liefen wir durch diese amerikanische Wüste und schwiegen uns an. Jeder hing seinen Gedanken nach, bis ich es nicht mehr aushielt. „Was meintest du vorhin mit Gerüchten?", fragte ich und hielt an. Lisa seufzte und setzte sich auf einen Stein am Wegesrand. Während sie ihren Fuß massierte erzählte sie: „Wie du weißt gehen von der Junior Academy viele auf die weiterführende und ich hatte das Glück, wenn man es so nennen darf, mit einigen von diesen in einer Klasse gelandet zu sein. Die waren alle ein wenig überheblich. Aber im ersten Jahr erzählten sie etwas von einem Mitschüler, der nie wieder auftauchte und der Name Gozaburo fiel. Nach ein paar gezielten Nachfragen kam raus, dass die Schüler wohl den Sohn von Gozaburo meinten. Jedoch wusste keiner, wieso dieser angebliche Sohn der Kaiba Academy fern blieb. Als du dann Jahre später angekündigt worden warst, haben wir erfahren, dass du auf die normale Schule in Domino gingst und jeder dachte, dass du der Sohn wärst und einfach nicht auf die Academy wolltest. Nie hätte ich gedacht, dass der ‚echte' Sohn, der uns einen Besuch abstattete und der ‚angebliche' Sohn zwei verschiedene Personen sind.". „Das ergibt tatsächlich Sinn. Nimm dir nicht zu Herzen, was Thea zu dir sagte. Niemand wäre da drauf gekommen, dass Noah mein Stiefbruder ist oder sein könnte.", meinte ich. „Ich soll mir...? Seto, jetzt überschätzt du aber Thea. Ich nehm mir doch der ihr Geschwätz nicht zu Herzen. Eher tut sie mir Leid. Kann bei keinem Kerl, den sie toll findet landen und dann fliegt sie dreimal durch unsere Aufnahmeprüfung. Also bitte.", lachte Lisa und stand auf. „Wieso hasst sie dich eigentlich?", fragte ich. „Weil ich bei der dritten Runde mit in der Jury saß und ihr ins Gesicht gesagt habe, dass sie mehr Herzblut ins Tanzen legen sollte. Das hat ihr wohl nicht gepasst.", antwortete Lisa.

Gemeinsam liefen wir ein paar Schritte weiter, wobei mir auffiel, dass Lisa jetzt viel stärker humpelte als zuvor. „Was ist los?", fragte ich. „Dir hinterher zu rennen, war jetzt keine meiner besten Ideen.", erklärte Lisa verlegen. „Komm, ich trag dich ein wenig Huckepack.", sagte ich. „Sicher?", fragte Lisa mit hochgezogener Augenbraue. „Ja, immerhin bin ich ja indirekt Schuld daran.", sagte ich. Und Lisa stieg auf meinen Rücken. „Dieses Mal werd ich aber nicht einschlafen.", witzelte sie. „Gut zu wissen. Nicht das ich wieder Selbstgespräche führe, weil ich denke, du bist munter.", gab ich lächelnd zurück. „Nicht dein ernst? Das hast du damals gemacht?", fragte Lisa mit sichtlicher Neugier aber auch Unglaube in der Stimme nach. „Natürlich.", antwortete ich so neutral wie möglich. Doch meine Freundin kannte mich besser als irgendjemand sonst. „Jetzt verarscht du mich aber.", erkannte sie. „Okay, erwischt. Aber ist schön, sich mit dir zu unterhalten. So muss ich nicht über andere Dinge nachgrübeln.", gestand ich. „Glaub mir, wir werden bestimmt alle Antworten bekommen.", beruhigte sie mich. Und ihr glaubte ich das sogar.

Ich trug sie eine ganze Weile, während ich meinen Fragen nachhing. Es ergab für mich immer noch keinen Sinn, dass Noah mein Stiefbruder sein sollte. Auch wenn Mokuba eine ähnliche Bemerkung hat fallen lassen, so konnte ich das doch nicht für die Wahrheit halten. Dahinter mussten die Big Five stecken. Anders war das nicht zu erklären. Und diese Gerüchte an der Schule waren zwar irgendwie plausibel, aber ein wichtiges Puzzlestück fehlte. Und zwar, wieso sich Noah in all den Jahren zwischen dem Bild und dem hier und jetzt nicht verändert hatte.

„Worüber grübelst du nach?", fragte Lisa. Mittlerweile waren wir eine Steintreppe nach oben gelaufen und auf halber Strecke hatte sie diese Frage gestellt. Ich seufzte, liess sie von meinem Rücken runter und schilderte ihr meinen Gedankengang. Meine Freundin lies sich auf einem Stein nieder und dachte ebenfalls nach. Sie kam zu dem selben Schluss wie ich. Dass wir Noahs Weg wohl folgen mussten um zu erfahren, was wirklich geschah. „Lass doch erstmal Dampf ab.", meinte Lisa, stand auf und ging ein paar Stufen nach oben. „Dampf ablassen?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. „Ja, schrei dir deinen Frust von der Seele.", antwortete sie. Und ich verstand was sie meinte. Mokuba hatte das ja auch schon mal gemacht. Und so rief ich: „Noah! Wo ist mein Bruder! Rück ihn endlich raus und kläre das mit mir ein für alle Mal!". Dann seufzte ich und sah nach unten Richtung Tal. „Besser?", fragte Lisa. „Etwas... Meinst du Yugi kommt klar mit den Big Five?", fragte ich, um mich abzulenken. Lisa trat von hinten an mich heran, umschlang mich mit ihren Armen und nickte. „Ach klar. Mit Joey an seiner Seite packt er das sicher.". „Mit dem Loser Wheeler?", hakte ich nach. „Er ist ein viel besserer Duellant als du denkst.", ergänzte Lisa ihre Aussage und wollte mich loslassen. Doch ich ergriff ihre Hände und flüsterte. „Nicht.". Sie nickte erneut und gab mir diesen Moment der Ruhe. Es kam mir vor wie der letzte Moment Ruhe vor dem gewaltigem Sturm, der sich anbahnte.

„Also eines muss man den alten Griechen lassen. Deren Baustil ist echt toll und immer wieder sehenswert.", schwärmte Lisa, als wir den Gipfel erreicht hatten. Dort befand sich eine Art griechischer Tempel auf der Spitze, der Lisa sofort in seinen Bann zog. „Du weißt schon, dass das hier alles nicht real ist?", fragte ich. „Na und? Das ändert nichts an der Schönheit des Baustils.", erklärte Lisa und sah sich um. Ich schmunzelte über ihre Begeisterung und stellte mich an den Rand des Felsen. Vielleicht konnte ich ja von hier oben etwas ausmachen, was mich zu Mokuba führen könnte. Und tatsächlich sah ich etwas. Aber das konnte nicht sein! „Wie kann das sein?", flüsterte ich. „Was?", fragte Lisa, die urplötzlich neben mir stand. „Das da.", antwortete ich und deutete auf die Häuser, die sich unter uns zeigten. „Was ist das?", fragte Lisa verwundert. „Komm, ich zeig es dir.", erklärte ich, nahm sie an der Hand und führte sie schnurstracks den kleinen Pfad nach unten, der zu meiner linken Seite war.
„Willkommen in Kaiba Land. Meinem Freizeitpark. Der sich allerdings noch in Planung befinden. Und dessen Pläne streng geheim sind.", erklärte ich, als wir vor dem Hauptgebäude, einem gewaltigen Hochhauskomplex, standen. „So geheim, dass sogar ich keine Ahnung davon hatte.", meinte Lisa. „Genau diese Art.", sagte ich. Lisa sah sich um und ein sanftes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Was?", fragte ich. „Es zeigt eindeutig deine Handschrift.", meinte Lisa. „Und das bedeutet?", hakte ich nach. „Mir gefällt's. Auch wenn ich vielleicht nicht ganz so hoch gebaut hätte.", sagte Lisa und deutete lächelnd auf das Hochhaus. „Was hast du an der Höhe auszusetzen?", fragte ich. „Naja, man könnte wirklich meinen du müsstest wirklich etwas kompensieren.", witzelte sie. Und da wusste ich, dass sie mich aufzog. Ich lächelte und ging einen Schritt auf sie zu. Doch als ich in ihr Gesicht sah, bemerkte ich ihr schelmisches Lächeln. „Naja, ich geh mich mal weiter umsehen...", erklärte sie und wollte vor mir weglaufen. Doch weit kam sie nicht. Ich hatte sie unter einer Statue, den den weißen Drachen darstellte eingeholt, gegen die Wand gedrückt und mit meinen Armen eingekeilt. „Kompensieren? Wirklich?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue nach. Lisas einzige Antwort war jedoch nur ein sanftes Lächeln. Ich schüttelte sacht den Kopf und küsste meine Freundin. Ich hatte ihren Wink verstanden. Und außerdem wurde hier gerade ein Traum von mir wahr. Als ich diesen Teil des Parks plante, wollte ich Lisa genau an dieser Stelle unter dem Drachen küssen. Sie erwiderte meinen Kuss und in diesem Moment vergaß ich, dass wir nicht in der realen Welt waren. Jetzt gerade gab es nur Lisa und mich.

Doch sie war es, die den Kuss unterbrach. „Wir sollten weiter.", meinte sie. Ich nickte, nahm sie an der Hand und führte sie in den relativ unbekannter Teil des Freizeitparks. Sozusagen hinter den Kulissen. „Die haben sogar an mein Backstage Sicherheitssystem gedacht.", staunte ich und stellte eine Figur um, sodass Schwarz im Schach Matt stand. „Ein Schachspiel? Ernsthaft?", fragte Lisa mit hochgezogener Augenbraue nach. „Was ist daran auszusetzen?", gab ich zurück. „Du weißt schon, dass jeder, der ein wenig Ahnung von Schach hat, hier rein kommt?", meinte sie. „So wie du.", stellte ich fest. Ihre Aussage erinnerte mich an das erste gemeinsame Essen. Mein Stiefvater hatte damals eine Schachpartie zwischen ihr und mir vorgeschlagen. Sie meinte damals nur, dass sie keine Ahnung davon hätte. Doch das war eine glatte Lüge gewesen. In der ganzen Zeit, in der ich Schach spielte, hatte mich noch nie jemand so an die Wand gespielt wie sie.

„So war das nicht gemeint...", holte mich Lisa mit ihrer Aussage zurück. „Ich mach mir keine Sorgen, dass du hier einbrechen könntest. Du bekommst neben meinem Bruder einen eigenen Zugangscode. Was hält's du davon?", fragte ich. „Au ja!", rief sie erfreut aus und umarmte mich. „Na los, gehen wir mal nachschauen, was Noah noch so für uns vorbereitet hat.", erklärte ich und gemeinsam betraten wir die Lagerhalle.

Das Herz des Seto KaibasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt