Brüder in jedem Zuhause

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Erneut änderte sich die Szenerie um uns herum und wie saßen statt auf einem Felsen erneut auf einer Wiese mit vielen Blumen. Und wieder war diese Wiese so perfekt designt, dass an mir tatsächlich eine Hummel vorbei flog.

Mobuka und ich standen auf und sahen uns um. Wie immer wirkte alles friedlich, sodass man verweilen wollte. Doch ich entschied, dass wir weiter gehen mussten, bis wir endlich hier raus kommen würden. Und natürlich mussten wir noch Lisa finden. Wenn wir Noah in die Falle tappten, dann würde Lisa das bestimmt auch. Ob sie wollte oder nicht. Es schien fast so, als wäre dieser gesamte Cyberspace eine einzige große Falle, gekoppelt mit vielen kleinen Fallen in die man zwangsläufig tappen musste.

„Meinst du wir finden bald etwas zu Essen? Kann man eigentlich im Cyberspace etwas essen, Seto?", fragte Mokuba mich mit großen Augen. „Nein, zu beiden Fällen. Und selbst wenn, würde es mich wundern, wenn ausgerechnet Noah uns etwas zu Essen zukommen lassen würde. Der Hunger, den du gerade verspürst, dürfte ebenfalls ein Psychospielchen von ihm sein.", antwortete ich. „Wenn du meinst... Mir erscheint er jedenfalls sehr real. Und ich hab das Gefühl, als wären wir schon Ewigkeiten hier.", meinte Mokuba. Und er hatte ja auch in gewisser Weise recht. Mein Zeitgefühl, auf das ich mich eigentlich immer verlassen konnte, lies mich ganz schön im Stich. „Ich frag mich die ganze Zeit, was Lisa so treibt und wie es ihr ergeht. Immerhin fiel sie alleine durch den Boden.", überlegte Mokuba laut. „Dieselbe Frage stellte ich mir auch schon. Immerhin hat Noah ja gemeint, sie wäre sein Ehrengast, bevor wir überhaupt hier her kamen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwann in einem goldenen Käfig auftaucht um mich zum Duell zu zwingen oder aus sonst welchen Gründen. Solange Noah die Fäden in der Hand hält, kann sie noch so ein Sturkopf sein. Aber wenn er es so will, dann bleibt ihr keine andere Wahl.", meinte ich. „Brr... da läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Aber er braucht sie doch gar nicht, um dich zum Duell zu zwingen. Du hast dich noch nie gescheut vor einer Herausforderung.", sagte Mokuba. „Das weiß ich auch. Aber wenn dir oder ihr etwas passieren würde, dann können auch mir Fehler unterlaufen.", gab ich zu. Darauf erwiderte mein Bruder nichts mehr, wusste er doch wie wahr meine Aussage war.

Gemeinsam liefen wir schweigend weiter, bis wir an einen kleinen Hügel mit einer einfachen Holzhütte ankamen. Sah man mal davon ab, das wir hier gefangen waren, so war es doch idyllisch zu nennen. Ein kleiner Zaun grenzte das Gebiet um das Haus ein und das Haus selbst lud ein, hinein zu gehen. Hier könnte ich mir vorstellen, mich ein, zweimal im Monat mit Lisa zurück ziehen und eine Wiederholung der letzten Nacht zu durchleben.
„Meinst du wir finden da etwas zu Essen?", fragte Mokuba und riss mich damit aus meinen erotischen Gedanken. „Nein, und lass endlich das Thema Essen. Da bekomm sogar ich Hunger. Ich werd hier die Tür öffnen und du bleibst schön hinter mir. Verstanden?", wies ich ihn an. Mokuba nickte und vorsichtig öffnete ich die Tür. Zuerst sah ich nur helles Licht, doch dann standen wir nicht in einer kleinen Holztür. Nein, wir standen in einer großen Flügeltür und natürlich erkannten Mokuba und ich die Villa. „Das ist die alte Villa der Kaiba Familie. Hier kamen wir nach der Adoption her und lebten dann hier.", staunte Mokuba. Bevor ich etwas sagen konnte, erschienen erneut unsere jüngeren Ichs. Wir folgten dem damaligen Hausdiener Judson durch die Villa. Ich, mit stolz geschwellter Brust, weil ich Mokuba aus dem Waisenhaus geholt hatte und mein kleiner Bruder krallte sich an meinem Polluver fest. Ihm schien die ganze Situation nicht zu behagen.

„Genau, das war der Tag direkt nach unserer Adoption. Judson führte uns in unsere Zimmer und keine zwei Stunden später wurdest du von den Privatlehrern in Beschlag genommen.", erzählte Mokuba traurig. Und so wie mein Bruder sein letztes Wort sagte, erschienen die besagten Szenen.
Ich sah mein jüngeres Ich, wie es verzweifelt versucht, dem langweiligen Matheprivatlehrer bei einer Textaufgabe zu folgen. Natürlich fielen mir damals nach mehreren Versuchen sie offen zu halten, dann doch die Augen zu und keine Sekunde später weckte mich Judson erneut auf. Und so ging es wochenlang weiter. Öden Privatlehrern zuhören, bis spät in die Nacht pauken und am nächsten Tag dasselbe Spiel von vorne. Immer unter dem wachsamen Auge des Dieners und den ständigen Androhungen meines neuen Stiefvaters.

Das Herz des Seto KaibasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt