𝑺𝒉𝒐𝒓𝒕 𝑺𝒕𝒐𝒓𝒊𝒆𝒔

[11] 𝐑𝐢𝐜𝐜𝐢𝐚𝐫𝐝𝐨 𝐱 𝐒𝐚𝐢𝐧𝐳

Nachdenklich lief Carlos durch den Paddock. Normalerweise lenkte ihn seine Arbeit von allem anderen ab, doch so ganz wollte diese Strategie nicht funktionieren. Sämtliche Bemühungen verliefen im Sand, somit gab er es letztendlich auf und hing seinen Gedanken hinterher. Wie schon so oft in den letzten Jahren kreisten seine Gedanken um Lando. Am Anfang sah Carlos ihn nur als Freund, irgendwann war er zu einem kleinen Bruder für ihn geworden - a brother from another mother -, bis sich irgendwas in ihm schlagartig und überraschend veränderte. Es fühlte sich für ihn so an, als wäre er sein gesamtes Leben blind durch die Gegend gelaufen und mit einem Mal wurden ihm die Augen geöffnet. In dem jungen Briten sah er einen vertrauten Freund, eine Schulter zum Anlehnen, eine Vertrauensperson, einen Seelenverwandten. Kurz gesagt - Carlos hatte sich unwiderruflich in Lando verliebt. Und das bereitete ihm höllische Angst. Sein ehemaliger Teamkollege war nicht nur fünf Jahre jünger, auch war er noch nie in einer Beziehung. Carlos hingegen war schon in einigen Beziehungen gewesen, manche hielten länger als andere. Er hatte seine Erfahrungen gesammelt, Erfahrungen, die Lando noch nicht gesammelt hatte. Carlos wollte, dass Lando seine Jugend voll ausschöpft, Neues ausprobiert und sich selber findet.

Der Spanier hingegen wollte in den kommenden Jahren so langsam sesshaft werden, heiraten und Kinder bekommen. Er steuerte auf die 30 zu, hatte in seinem Leben schon so vieles erlebt. Vertrauensbrüche, Herzschmerz, Freude, Enttäuschung - alles hatte ihn geprägt und ihn zu der Person gemacht, die er heute war. Trotz allem wollte er an seinem Traum festhalten, auch wenn so vieles dagegen sprach. Mit jeder Enttäuschung wurde sein Herz kälter, er hatte geglaubt, dass es niemals wieder für jemanden so schlagen würde wie für Lando seit einer ganzen Weile. Die Jahre in dem Formelsport hatten ihn mental ausgelaugt, er wurde müde. Müde von den Enttäuschungen, müde von Menschen, müde von den Rennen, müde von Gesellschaft. Das sein Wechsel so viel in seinem Leben verändern würde, hätte er sich nie erträumen können. Noch immer war dieser Moment in seinem Kopf präsent, als er dem quirligen Briten zum allerersten Mal begegnet war.

„Carlos Sainz, Lando Norris.", machte Zak sie miteinander bekannt, als der Spanier in das Büro seines zukünftigen Chefs trat. Bis jetzt saß sein zukünftiger Teamkollege mit dem Rücken zu ihm, doch zum Begrüßen stand er auf. Er drehte sich zu Carlos, welchen fast der Schlag traf. Mit einem charmanten Lächeln begrüßte Lando ihn, woraufhin er ihn sofort sympathisch fand. Zak weihte sie in alles wichtige ein, danach waren sie für den Rest des Tages freigestellt. Gemeinsam verließen sie das Gebäude und wurden von der prallen Sonne in Empfang genommen. Der Himmel war wolkenfrei, die Temperatur war angenehm warm. „Hast du vielleicht Lust etwas zu unternehmen?", fragte Lando ihn, woraufhin er ihn überrascht, aber definitiv nicht abgeneigt, anschaute. „Sehr gerne. Ich hatte heute sowieso nichts mehr vor. Vermutlich hätte ich mir vor dem Fernseher irgendwas auf Netflix angeschaut.", grinste er, was auch den Briten lächeln ließ. „Bist du mit dem Auto hier?", fragte dieser. „Nein, ich bin mit dem Taxi gekommen. Ich bin noch nicht sesshaft in England, in Zukunft werde ich mich nach einem Auto umschauen müssen." Verstehend nickte Lando und zeigte in Richtung Parkplatz. „Dann fahren wir mit meinem."

Sie entschieden sich dazu auf dem Weg irgendwas zu Essen zu holen, die Entscheidung war schnell und einstimmig gefallen: chinesisch. Danach würden sie zu Lando nach Hause fahren und dort in aller Ruhe essem. Mit dem Essen beladen betraten sie dessen Haus, was Carlos staunen ließ. „Schön hast du es hier.", sagte er. „Dankeschön. Ein wenig unordentlich, aber ich hatte heute nicht mit Besuch gerechnet. Ansonsten hätte ich aufgeräumt." Carlos schüttelte belustigt den Kopf. „Ich bin die meiste Zeit über auch ein Chaot. Wenn es wirklich sein muss, kann ich ordentlich sein, aber von Natur aus bin ich sehr chaotisch." „Dann haben wir ja schon Mal eine Gemeinsamkeit gefunden.", lachte Lando und zog ihn mit in Richtung Wohnzimmer. Dort setzten sie sich auf das Sofa und verspeisten ihr Essen. Nebenbei unterhielten sie sich über Gott und die Welt, wobei sie feststellten, dass sie sich ziemlich ähnlich waren. Auch bekamen sie nicht mit, wie es draußen immer dunkler wurde und die Nacht leider Gottes einbrach.