„Ich bin an diesem Tag nicht gestorben, aber ein Teil in mir ist gestorben. Es war, als ob ein großer Teil meiner selbst mit einmal fehlen würde. Von dem einen auf den anderen Tag war dort diese Leere in mir, die ich nicht beschreiben konnte. Es gibt kein Wort in keiner Sprache, die diesen Gefühlen jemals gerecht werden könnte. Dort wo einst Sonnenschein war, herrschte mit einmal komplette Dunkelheit. Die Augen, die mir einst die Schönheit des Lebens aufgezeigt haben, füllen sich nun tagtäglich mit Tränen. Das Herz in meiner Brust, welches einst mit Leben gefüllt war und kräftig schlug, liegt nun in tausenden von Scherben, die niemand jemals wieder zusammensetzen könnte. Der Mund, der einst leidenschaftlich geküsst wurde und stets ein Lächeln formte, war nun nicht mehr als eine feine, zusammengepresste Linie. Der Mensch, der ich einst war, ist verschwunden und wird nie wieder zurück zu mir finden. Noch immer sehe ich dieselbe Hülle, doch deren Inhalt ist nicht mehr derselbe. Ich habe mich verändert und ich hasse diesen neuen Menschen, den ich tagtäglich in diesem großen Spiegel in unserer Wohnung sehe. Ich hasse den Menschen, der ich geworden bin und so sehr ich es auch versuche, doch werde ich diese Veränderung nicht wieder rückgängig machen können. Nie wieder werde ich der Mensch werden, der ich vor all diesem war und diese Tatsache macht mir Angst.
Das Leben ohne ihn macht mir Angst. Er hat mir eine Sicherheit gegeben, wie es kein anderer Mensch zuvor geschafft hat. Dieser Mann war alles, was ich brauchte, um glücklich zu sein. Er war mein Anker, mein sicherer Hafen, mein Fels in der Brandung, meine starke Schulter zum Anlehnen, mein Lebensinhalt, der Mann meiner Träume – er war alles. Er war alles und noch so vieles mehr. Ich habe mich mit Haut und Haaren in ihn verliebt und das wusste er. Er wusste alles über mich, er kannte mich besser als jeder andere Mensch in meinem Leben. Zum allerersten Mal glaubte ich, dass mich jemand so lieben könnte, wie ich bin. Der mich trotz meiner Fehler und Macken, der mich trotz meines manchmal leicht kindischen Verhalten, der mich trotz meinen Ängsten und Sorgen liebte. Jemand, der mich als Mensch wahrnahm und auf meine Gefühle achtete. Ich habe mich diesem Mann mit jedem Teil meiner selbst verschrieben, auch wenn er nicht dasselbe tat. Doch es war mir egal, ich wollte ihn. Ich wollte ihn für immer bei mir haben und mit ihm alt werden, egal was er dafür gebraucht hätte. Ich hätte alles akzeptiert, damit er nicht von mir ging. Ein einziges Mal wollte ich diesen Mann festhalten und für ihn kämpfen. Für diesen Mann hätte ich alles geopfert und letzten Endes habe ich das Kostbarste für ihn gegeben: mich selbst. Ich habe mich selbst verloren, um ihm zu gefallen und nun stehe ich hilflos dar, weil er gegangen ist. Vermutlich sollte ich ihn dafür hassen, doch das kann ich nicht. Die Liebe für ihn ist das Einzige, was mir noch von ihm bleibt. Und wenn ich das aufgebe, dann bin ich komplett und unwiderruflich verloren."
Leise schob er das aufgeschlagene Notizbuch wieder unter sein Bett, mit der einen Hand wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, während er mit der anderen Hand nach der Nachttischlampe tastete und diese wieder ausschaltete. Zurück blieb er allein in der Dunkelheit, die in solchen Momenten sein engster Vertrautester war. Der einzige Freund, der ihm jetzt noch blieb. All die anderen Leute in diesem Haus schliefen, während er eine weitere Nacht ohne Schlaf verbrachte. Eine weitere Nacht, in der er sich selbst quälte und die düsteren Gedanken in seinem Kopf in Dauerschleife wiederholt wurden, während er sich fragte, wann es endlich aufhören würde. Wann dieser Schmerz, der ihn jedes Mal durchzog, endlich gehen würde und er die Schönheit des Lebens genießen konnte. Doch dieser Schmerz war ein Teil seiner Selbst geworden, tief in seinem Inneren verankert und so tief vergraben, dass kein Mensch je davon erfahren würde. Sobald er versuchte dieses Gefühl in Wort zu fassen, bemerkte er, dass es ihm überhaupt nicht möglich war. Er war vollkommen allein mit sich und seinen Gefühlen; nie würde es wieder einen Menschen geben, der ihn ohne Worte verstand. Der ihm seinen Schmerz von den Augen ablas und stets wusste, was er tun musste. Es war, als hätte George ihn zusammengeflickt und sein Herz geheilt, nur um es umso stärker zu zerstören. Der Brite hatte ihm das Herz förmlich aus der Brust gerissen, zu einem Zeitpunkt, an welchem er am wenigsten damit gerechnet hatte. Bitter dachte er daran, dass er zu verblendet war, um zu sehen, wie sein ehemaliger Freund wirklich war. Er hatte eine rosarote Brille getragen und sich damit in Sicherheit gewogen, dass er ihn schon so lange kannte. Es war ohne Vorwarnung geschehen; ihm war im Verhalten seines Freundes nichts aufgefallen, was auf eine Veränderung hingedeutet hätte.
Die Tränen brannten heiß auf seinen Wangen, während er regungslos an die Decke starrte und die letzten Wochen wieder und wieder in seinem Kopf wiederholte. So hörte er nicht, wie sich die Tür leise öffnete und direkt wieder schloss; umso mehr erschrak er, als er so unvermittelt eine weitere Person in dem Raum ausmachen konnte. „Alex, ist alles gut bei dir?", fragte Lando müde und unterdrückte ein Gähnen. „Ja klar, warum nicht?", versuchte er seinen besten Freund zu überzeugen, der ihm das Ganze ebenso wenig abkaufte, wie er es selbst tat. Der Brite setzte sich auf die Bettkante, zog ein Stück der Bettdecke über seine Beine und sah ihn durchdringlich an, wie es ihm im Schutze der Dunkelheit vorkam. „Weil du zu dieser Zeit nicht schläfst und weinend im Bett liegst, so wie du es jede Nacht tust, seitdem George gegangen ist." „Erwähne nicht seinen Namen.", zischte er und spürte im nächsten Augenblick eine Welle der Schuldgefühle. „Es tut mir leid, Lando. Es ist nicht deine Schuld.", entschuldigte er sich, doch sein bester Freund wank dies nur ab. „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Alex. Ich werde das schon wegstecken können." Der Brite beugte sich nach vorne und schaltete die kleine Lampe ein, welche auf dem Tisch neben seinem Bett stand. Erschrocken kniff er die Augen zusammen, doch öffnete sie im nächsten Moment wieder.
„Würdest du mir erzählen, was dich belastet?", fragte Lando sanft, woraufhin sich sein Herz zusammenzog. „Es ist nichts, ich habe nur schlecht geträumt.", tischte er ihm die nächste Lüge auf, welche der Brite ebenfalls nicht schluckte. „Du hast gar nicht geschlafen, Alex. Das hast du schon seit Wochen nicht mehr. Von Tag zu Tag werden die Schatten unter deinen Augen dunkler, während dein Lächeln immer unechter wird. Es tut mir in der Seele weh, dich in diesem Zustand zu sehen. Zu sehen, wie Geor-" Lando stockte. „wie er dich zerbrochen hat. Und es tut noch mehr weh, wenn ich daran denke, wie du vorher warst. Bevor ihr zusammen wart und bevor er dich so verletzt hat." Der Thai-Brite lächelte müde und wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm hatte es die Sprache verschlagen und er konnte nicht glauben, dass sich jemand so um ihn sorgte, dass ihm der veränderte Zustand aufgefallen ist. „Auch wenn er mal zu meinen Freunden gehört hat, ist es unter aller Sau, wie er mit dir umgesprungen ist. Du verdienst so jemanden nicht, du verdienst etwas Besseres. Er ergötzt sich an deinem Anblick und ist stolz auf das, was er getan hat. Ich bitte dich Alex, bitte rede mit mir. Gib ihm nicht mehr diese Macht über dich und zeige ihm, dass du ohne ihn ohnehin viel besser bedient bist."
„Warum tust du das alles, Lando?", fragte Alex, nachdem ein betretendes Schweigen sich in dem Raum ausgebreitet hatte. „Warum schlägst du dir Nacht um die Ohren, um bei mir zu sitzen und zu hoffen, dass ich mit dir rede?" Ihm fiel auf, wie böse diese Worte klangen und wollte sich prompt entschuldigen, doch grätschte der Brite ihm dazwischen. „Du musst dich nicht immer entschuldigen, Alex. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass du misstrauisch bist, und ich nehme dir kein Wort davon übel. Ich möchte einfach nur, dass du mir sagst, was dir den Schlaf raubt und so schwer auf der Seele liegt, dass du dabei bist dich selbst zu verlieren." „Warum tust du das, Lando?", fragte er noch einmal. Er konnte nicht glauben, dass sich jemand ernsthaft um ihn sorgte, viel mehr witterte er dahinter eine Falle, selbst wenn dies seinem besten Freund überhaupt nicht ähnlich sah. „Weil du mir wichtig bist, Alex. Weil du einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben bist und ich nicht mit ansehen kann, wie du dich zerstörst. Mir ist alles andere egal, einzig allein du bist wichtig. Also bitte rede mit mir Alex, und ich verspreche dir, dass wir zusammen eine Lösung finden."
Der Thai-Brite schloss die Augen und atmete tief aus, bevor er zum Erzählen ansetzte und sich alles von der Seele redete, was ihm in diesem Moment einfiel. Dabei achtete er nicht darauf, ob seine Sätze zusammenhängend waren und einen Sinn ergaben. Eine Stunde lang redete er, wobei er kein einziges Mal von dem Jüngeren unterbrochen wurde. Im Gegenteil, dieser saß gebannt da und nahm jedes Wort auf, welches aus seinem Mund kam. Als er fertig mit erzählen war, atmete er schnell und kam nicht darum anzuerkennen, wie gut es sich angefühlt hatte sich alles von der Seele zu reden. Es hatte ihm Angst gemacht diese Worte auszusprechen, da sie alles nur umso realer machten und er sich hätte einreden können, dass er sich das alles nur eingebildet hatte. Doch nun stellte er fest, dass er all die Wochen nur Ballast mit sich rumgetragen hatte, gepaart mit der Angst. Eine tödliche Kombination; er war wie eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment explodieren konnte. Lando hatte ihn entschärft, ohne sich dem bewusst zu sein. Abwartend schaute er den Briten an, doch dieser sagte kein Wort. Stattdessen beugte er sich nach vorne und nahm ihn in den Arm, wobei er ihn fest an sich drückte. Von jedem anderen Menschen hätte er sich eingeengt gefühlt, doch Landos Umarmung fiel aus dieser Kategorie. Sein Herz begann seltsam schnell zu schlagen, was ihn irritiert die Stirn runzeln ließ, er danach aber sofort wieder vergaß.
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𝑺𝒉𝒐𝒓𝒕 𝑺𝒕𝒐𝒓𝒊𝒆𝒔
RomanceVolle Power, nervenzerreißende Action und echte Gefühle: Diese Kurzgeschichten nehmen dich mit auf die wilde Fahrt durch die Welt der Formel 1 - und erzählen dabei von überwiegend homosexuellen Paaren, die nicht nur auf, sondern auch neben der Strec...