„Bist du soweit?", fragte seine Mutter und schaute ihn mit einem liebevollen Blick an. In ihren Augen erkannte er den Stolz und die pure Freude. Es war, als wüsste sie etwas, was ihm bisher verborgen geblieben war und am liebsten würde er sie danach fragen, doch tat er es nicht. Stattdessen schaute er erneut in den großen Spiegel an der Wand und betrachtete seinen Spiegelbild. Der schwarze Anzug saß perfekt und auch die Haare spielten heute mit. Seine Mutter hatte versucht ihn dazu überreden eine Fliege zu tragen, letztlich hatten sie sich auf eine simple Krawatte geeinigt. Zum hundertsten Mal zuppelte er nun an dieser herum, obwohl sie bereits perfekt saß. Sein Erscheinungsbild war perfekt und doch fühlte er sich nicht sicher. Es war nicht so, als würde er Carlos nicht lieben, denn das tat er vom ganzen Herzen. Der Spanier war in sein Leben getreten, als er sich in seinem absoluten Tiefpunkt befand und war seine Rettung. Ihm wurde gezeigt, wie schön das Leben sein konnte und das er trotz aller Macken liebenswert war. Immer dann, wenn bei ihm Zweifel aufkamen, wusste sein Teamkollege, was er tun musste, um diese zu stoppen. Er würde, ohne zu zögern sagen, dass Carlos sein Seelenverwandter war. Bis zu diesem Tag hatte er nicht daran geglaubt, dass eine solche Verbindung zu einem anderen Menschen nicht möglich war und wusste von der ersten Sekunde an, dass er dem Spanier hoffnungslos verfallen war. Sein ganzes Wesen, von Kopf bis Fuß, wurde von ihm eingenommen; das Herz in seiner Brust schlug nur für ihn.
In der Vergangenheit seines jungen Lebens hatte er viele Schicksalsschläge einstecken müssen, welche ihn nachhaltig geprägt hatten. Er hatte geliebte Menschen kommen und gehen sehen; nie war jemand geblieben, wenn er nach Konstanz in seinem Leben gesucht hatte. Am schlimmsten traf es ihn, nachdem er innerhalb weniger Jahre drei geliebte Menschen verlor; jedes Mal wurde ihm erneut das Herz aus der Brust gerissen, so dass am Ende nur noch Abdruck dessen zurückblieb. Tagtäglich sah er sich im Spiegel an und stellte dabei fest, dass er sich verändert hatte. Doch nicht sein äußeres Erscheinungsbild war der ausschlaggebende Grund für diese Einsicht, irgendwas hatte sich in seinem Inneren verändert und er hasste dieses Gefühl. Er entwickelte eine Art Selbsthass, welcher ihn von Innen aus zerfressen wollte, doch kämpfte er dagegen an; er wollte diesem Gefühl keinen Raum bieten, um noch weiter voranzuschreiten. Einen Lichtblick erkannte er darin, als er von Ferrari unter Vertrag genommen wurde und er sich somit einen Kindheitstraum erfüllen konnte. Nachdem das Gespräch mit Mattia beendet war, wünschte er sich seinen Vater zu umarmen und ihm sagen zu können, dass er es geschafft hatte – doch sein Vater war nicht da. Zum ersten Mal in seiner sportlichen Laufbahn wünschte er sich einen Erfolg wie diesen mit seinem Vater teilen zu können; in dessen Armen liegen und den Stolz in seiner Stimme hören. Stattdessen schaute er gedankenverloren aus dem Fenster und dachte daran Giada anzurufen, doch mehr als ihren Kontakt anzuschauen tat er an diesen Abend nicht. Wenige Wochen später beendete er ihre Beziehung, um sich auf seine Karriere konzentrieren zu können. Das ausgerechnet Charlotte wenige Wochen später seine Meinung änderte, hatte er nicht eingeplant.
Die ersten zwei Jahren bei Ferrari hätten nicht besser laufen können; er hatte eine zauberhafte Freundin und einen Teamkollegen, von dem er einiges lernen konnte. Es war, als würde sich das Leben für die schweren Phasen in der Vergangenheit entschuldigen wollen; er konnte alles erreichen und schaffen, von dem er als Kind nur geträumt hatte. Doch nachdem Seb seinen Wechsel zu Aston Martin bekannt gab und am Ende der Saison das Team verließ, war der Höhenflug der Gefühle der letzten Jahre vergessen. Zwar versprach der Deutsche, dass er sich jederzeit bei ihm melden könnte und immer für ihn da wäre, doch ging es privat für ihn den Bach runter. Nachdem er Carlos zum ersten Mal traf, dieses Mal offiziell als Teamkollegen, verändert sich etwas in ihm. Seine Welt geriet in ein Gefühlchaos und egal wie sehr er versuchte gegen dieses anzukämpfen, wollte es ihm einfach nicht gelingen. Jede Nacht tauchte der Spanier in seinem Traum auf; immer, wenn er ihn sah, spielte sein Körper verrückt. Immer öfter stritten Charlotte und er sich, auch wenn sie beide ihre Beziehung nicht aufgeben wollten. Doch je mehr er versuchte gegen die Gefühle für Carlos anzukämpfen, desto mächtiger schienen sie zu werden.
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𝑺𝒉𝒐𝒓𝒕 𝑺𝒕𝒐𝒓𝒊𝒆𝒔
RomanceVolle Power, nervenzerreißende Action und echte Gefühle: Diese Kurzgeschichten nehmen dich mit auf die wilde Fahrt durch die Welt der Formel 1 - und erzählen dabei von überwiegend homosexuellen Paaren, die nicht nur auf, sondern auch neben der Strec...